Im Kaffeehaus

Wenn ich als Touristin unterwegs bin, besuche ich in Städten üblicherweise vor allem Sehenswürdigkeiten und Museen. Wie gut, dass ich diesmal vor allem zum Arbeiten in Wien war! Denn nach fünf Stunden Lesen in der Bibliothek hatte ich keine Lust mehr auf Museum und durch die Stadt laufen. Schon gar nicht allein und ohne Unterhaltung.

Cafe Ritter

Cafe Ritter

Das mag jetzt viel schlimmer klingen als es eigentlich war. Denn statt meines üblichen Tourismusprogramms habe ich etwas ganz anderes Wunderbares gemacht, das so wohl nur in Wien möglich ist: Ich saß stundenlang bei einer Kleinigkeit zu essen und einer (!) Tasse Kaffe im Kaffeehaus. Ich befand mich in der Öffentlichkeit, wurde dort in Ruhe gelassen und konnte tun und lassen, was ich wollte. Statt der ausgelegten internationalen Presse habe ich lieber das freie W-Lan genutzt und mein Internet gelesen. Oder einfach nur aus dem Fenster geguckt und von und zur U-Bahn eilende Menschen beobachtet. Oder meinen Blick durchs Kaffeehaus schweifen lassen und gezählt wie viele Menschen schon länger dasaßen als ich – und wie viele diese tolle Gelegenheit Wiener Flair zu erleben nicht nutzten, sondern gleich nachdem sie ihre Bestellung konsumiert hatten wieder auf die kalte Straße zurück gingen.

Für einen Wienbesuch empfiehlt es sich also ganz eindeutig ein dickes Buch (oder ein Smart-Gerät) einzustecken, sich den halben Tag frei zu nehmen und einfach nur dazusitzen.

Ostern – ein Vergleich

In Deutschland gehört Ostern wie Weihnachten zu einem der Highlights für die Süßigkeitenindustrie. Wochen vorher gibt es Schokoladenosterhasen, Fondanteier und weiter Süßigkeiten für Ostern in den Geschäften.

Nicht so in Frankreich. Die Supermärkte sind fast die einzige Zone, in der ich merke, dass Ostern vor der Tür steht, denn es gibt Lindthasen und Lindtglocken und dazu noch ein großes Osterei von Kinderschokolade. Die ganze Auswahl an Schokoladeneiern, die es in Deutschland mit Eierlikör, Nougat, Milchcremeschokolade oder Nusskrokantfüllung gibt, Fondanteier, Knusperblätter, Schoko-Osterhasen in verschiedenen Schokoladenarten – weit gefehlt.

Ein Grund dafür könnte sein, das Ostern anscheinend keinen so hohen Stellenwert einnimmt in Frankreich, wie ich das bisher aus Deutschland kannte. Traditionen wie Eierfärben oder Osterbrot sind hierzulande gänzlich unbekannt. Dementsprechend häufig wurde ich schon missverstanden, wenn ich davon erzählt habe, Eier für Ostern färben zu wollen. Interessanterweise ist auch Karfreitag kein Feiertag, mit Ausnahmen in drei Departements im Elsass, wohingegen der Ostermontag frei ist. Auch die Speiseweihe in den katholischen Kirchen scheint es nicht zu geben. Zumindest konnte ich in den Pfarrbriefen bisher keinen Hinweis darauf finden.

Wie ich allerdings in Erfahrung bringen konnte, kaufen die Franzosen die Schokolade für Ostern beim Chocolatier ihres Vertrauens – was natürlich die Margen für Lindt & Co. erheblich verringert.

Kaffee und Kuchen

Die Institution „Kaffee und Kuchen“ ist in Deutschland weit verbreitet, findet aber kein Equivalent in Frankreich. Zwar gibt es für Kinder das „goûter“, das aber eher an die „English tea“ – Tradition erinnert. Das heißt, dass es nicht nur etwas Süßes gibt, sondern auch Schnitten, also eher etwas Herzhaftes.

Das heißt jedoch nicht, dass es in Frankreich keine Kuchen und keine Cafés gibt. In meiner Stadt sind „Salon de thé“ sehr beliebt, meist stilvoll eingerichtet Cafés, mit einer größeren Teeauswahl, manchmal selbstgerösteten Kaffee und einer großen Kuchen- , Tartes- und Tortenauswahl. Sehr beliebt ist hier die Kombination von Pistazien und Himbeeren in Form einer Tarte, Zitronentarten mit Baiserhaube und Schokoladenkuchen in verschiedenen Varianten.

Möchte man aber selbst Kuchen backen, wird es schon schwieriger. Aus Deutschland kenne ich selbst aus kleineren Supermärkten ein Backwarenregal, das unter anderem Sahnesteif, Gelatine, Schokoraspeln, Mandeln, geriebenen Haselnüssen, Kokosflocken und Rosinen enthält. Meist gibt es neben den Markenprodukten auch noch eine billige Discountvariante, d.h. einen Kuchen zu backen kostet kein Vermögen.

In den Supermärkten in denen ich in Frankreich bisher war, ist das Regal nur halb so groß wie in Deutschland. Es gibt quasi nur Markenprodukte oder die Discountprodukte sind in anderen Abteilungen „versteckt“. Beispielsweise werden da 125 g gehobelte Mandeln für 2, 57 Euro angeboten, die Discountvariante findet sich bei „Nüssen und trockene Früchte“, die sich natürlich nicht direkt daneben befindet. Natürlich kontrastieren sich hier französische Verkaufsstrategie mit meiner kulturell geformten Vorstellung eines Backwarenregals. Ein großer Teil ist Fertigbackmischungen gewidmet. Selbst bei der Auswahl von Mehlen und Zucker gibt es Unterschiede: Bisher habe ich noch keine Mehle mit unterschiedlichen Ausmahlungsgrad gefunden. Es gibt Mischungen um Brot zu backen, darunter auch Vollkornmehl. Beim Zucker gibt es wie in Deutschland Streuzucker, Würfelzucker und Puderzucker. Hagelzucker beispielsweise habe ich ebenfalls noch nicht gefunden. In Deutschland fast „alltägliche“ Backzutaten wie Bittermandelöl, gemahlene Haselnüsse oder Kokosflocken sind im Allgemeinen hier etwas teurer. Häufiger als in Deutschland findet man „Fleur d´oranger“ – Aroma oder Karamellaroma. Kuvertüre für den Kuchen – Fehlanzeige.

Vermutlich ist diese geringer Auswahl auch mit der Kuchentradition in Frankreich verbunden: Es gibt viel häufiger Tartes, die in verschiedenen Weisen gefüllt sind und vor allem wird auch viel häufiger Blätterteig für Kuchen oder süße Teilchen benutzt. Mehrschichtige Torten mit Buttercreme oder Sahnefüllung konnte ich bisher weder in Bäckereien finden, noch in den Teesalons. Sie scheinen eher aus einer deutsch-österreichischen Tradition zu kommen. Wie bereits erwähnt, zeigt allein die Tatsache, dass die Möglichkeit zu „Kaffee und Kuchen“ einzuladen, nicht bekannt ist, die unterschiedliche Wertigkeit. Vermutlich muss man auch hier noch mal innerhalb in Frankreich Abstufungen machen, schließlich ist das Elsaß auch von deutschen Koch- und Backtraditionen beeinflusst, wie die Spezialität „Kuglhupf“ annehmen lässt.

Ü-18 Abend im Tucherland

Seit Isabel Bogdan in ihrer Kolumne Sachen machen im CulturMag über einen Besuch im Indoorspielplatz geschrieben hat, wollte ich unbedingt auch auf einen. Bällebad! Hüpfburgen! Rutschen! Schaukeln! Und dann ergab sich die Gelegenheit: Am letzten Donnerstag im Monat ist im Tucherland in Nürnberg Ü-18 Abend. Kurz vor Einlass ist die Schlange an der Tür noch gar nicht so schlimm. 30 Minuten später quellen sämtliche Fächer von Taschen, Rucksäcken und Schuhen über. Die gesamte Halle ist zu diesem Zeitpunkt voller vornehmlich unter 30 Jähriger, die mit irrem Grinsen von einer Attraktion zur nächsten rennen.

Alle klettern und schlängeln sich durch Klettergerüste, die für echte Kinder ausgelegt sind, um sich anschließend mit Softbällen zu beschießen oder im Bällebad zu bewerfen.

Tucherland – Softballburg

Tucherland – Softballburg

Tucherland – Bällebad

Tucherland – Bällebad

Auf der Hüpfburg kommt es sofort zum organisierten Wahnsinn – wer seine Knochen lieber vollständig schätzt, wird schnell in die Flucht getrieben.

Tucherland – Hüpfburg

Tucherland – Hüpfburg

Zum Glück waren wir die ersten an der Kletterwand – zwei Stunden später haben sich dort lange Schlangen gebildet.

Tucherland – Kletterwand

Tucherland – Kletterwand

Lange Schlangen gibt es auch vor dem Hochseilgarten. Den meistern die Meisten nur, indem sie sich an der Sicherung festhalten und ordentlich schummeln. Spätestens hier zeigt sich, wie sportlich oder unsportlich man so ist…

Tucherland – Hochseilgarten

Tucherland – Hochseilgarten

Beim Rutschen dagegen geht es dafür einfach nur um den Spass: Besonders beliebt ist die 3er-Rutsche mit den Wellen drin. Hochrennen, runterrutschen und wieder und wieder!

Tucherland – Rutschen

Tucherland – Rutschen

Als Kindsköpfe hatten wir genau den Spass, den wir erwartet hatten. Endlich wird man für Rennen, Klettern, Kriechen, Werfen und Rutschen mal nicht schief angeschaut, sondern kann unter lauter Gleichgesinnten so durchgedreht sein, wie man gerne möchte.

Ballerinas

(Achtung: subjektive Wahrnehmung, keineswegs statistisch verifizierbar)

Schaue ich mich auf der Straße um, fällt eines auf: Frauen in Frankreich tragen Ballerinas. Nicht nur Frauen, auch Mädchen. Immer und überall. Solange es über 0° Grad hat, spricht nichts gegen Ballerinas. Es gibt sie für Mädchen, die 8 Jahre alt sie in wunderbaren bunten Knallfarben, für Geschäftsfrauen in allen Qualitäten und kleinen Verzierungen, die sie ein bisschen mehr chic machen. Man kann sogar Schmuck für Ballerinas kaufen – man nehme unverzierte Durchschnittsballerinas und stecke vorne beispielsweise eine Blume oder ein Glitzersteinmotiv auf, das als Ballerinaschmuck deklariert ist.

Es scheint das die Form des Halbschuhs, über dem Fußrist geschlossen, stabile Sohle, wahlweise mit Schnürsenkeln oder mit Klettverschluss nur für Männer existiert oder als Sportschuh. Aber wer braucht das schon als Frau: man hat ja die Auswahl zwischen x-verschiedenen Modellen an Ballerinas falls an eine Alternative zu Schuhen mit Absatz sucht.

Französische Esskultur in der Mensa

Die berühmte französische Esskultur schlägt bis in die Mensa durch. Die Mensen, die quasi frankreichweit vom CROUS, dem französischen Studentenwerk unterstützt werden, bieten als Menü, hier zumindest, für 3,10 Vor-, Haupt- und Nachspeise an. Je nach Saison, gibt es beispielsweise Artischocken, eine kleine Wurstauswahl oder eine Avocado (die hier gerne mit Mayonnaise gegessen wird.).
Für den Hauptgang kann man immer auf Hacksteak mit Pommes und Gemüse, wahlweise Entrecôte ausweichen. Wer Lust hat Gerichte aus aller Welt zu kosten, kommt bei der “Cuisine du monde” auf seine Kosten. Daneben gibt es noch das Tagesmenu, sowie Pizza und Pasta. Als Nachspeise gibt es je nach Geschmack Käse oder Dessert, was hier von Crème brûlée, über Muffins, bis zu kleinen Tartelettes reicht. Es gibt aber auch die Möglichkeit Obst oder Salate zu nehmen. Suppen hingegen habe ich noch nie gesehen.
Vor der Kasse gibt es noch das obligatorische Brötchen dazu. Wie es auch in französischen Restaurants üblich ist, ist Brot und stilles Wasser nicht zu bezahlen (bzw. in den Preisen vermutlich automatisch mit einkalkuliert). Deswegen gibt es in der Mensa einige “Wasserstationen”, wo man die Karaffen, die auf allen Tischen platziert sind, auffüllen kann.

Vielleicht sollte man doch die Studiengebühren behalten…

Für Hausarbeiten braucht man auch heutzutage noch zum Großteil Bücher, d.h. am besten eine gut ausgestattet Universitätsbibliothek. Da ich auch in Frankreich bereits ein paar Hausarbeiten schreiben musste, wollte ich wie gewohnt die notwendigen Bücher, so weit möglich, ausleihen.
Das wunderbare in meiner Stadt ist jedoch, dass je nach Studienniveau unterschieden wird, wie viele Bücher man ausleihen kann. Ein Bachelorstudent hat je nach Universitätsbibliothek das Recht zwei (!) bis acht Bücher auszuleihen. Im Master sind es dann schon sagenhafte drei und als Doktorand ganze fünf Bücher. An besagter Bibliothek kann man sich aber das Recht auf mehr Bücher erkaufen, für 20 Euro im Jahr kann man als Bachelorstudent dann schon 8 Bücher ausleihen.
Neben der Abstufung der Anzahl der Bücher ist auch die Ausleihzeit gestaffelt: Bachelorstudenten haben zwei Wochen Zeit, Masterstudenten drei Wochen, Doktoranden vier Wochen.
Für mich persönlich sind sowohl die kurzen Ausleihfristen als auch die Ausleihmenge sehr beschränkend. Bisher kannte ich als Minimalausleihzeit vier Wochen. Mit diesem französischen System kann man annehmen, dass mehr Studenten schneller an das gleiche Buch kommen und da schließlich Platz und vermutlich auch Geld beschränkt sind, wird Doppeltanschaffung und Neuausgaben vermieden. Gleichzeitig steigt die Motivation wirklich in den zwei Wochen das Buch zumindest in den wichtigen Teilen zu lesen – jeder der aber aus verschiedenen Quellen nur einige wichtige Erkenntnisse herausfiltern muss wird wahnsinnig oder muss sich in der Bibliothek einnisten, deren Öffnungszeiten jedoch auch beschränkend sind. An meiner Heimatuniversität habe ich den unglaublichen Luxus in der Zentralbibliothek von 8 bis 24 Uhr von Montag bis Donnerstag arbeiten zu können, freitags bis 22 Uhr und selbst Sonntag ist tagsüber geöffnet.
Hier ist während dem Semester nur von 9 bis 22 Uhr geöffnet und samstags tagsüber, doch im laizistischen Frankreich wird die Sonntagsruhe eingehalten. Natürlich sind das immer noch sehr großzügige Öffnungszeiten, aber es überrascht schon, dass in einer Großstadt die Bibliotheken kürzer geöffnet sind als in einer mittleren Stadt mit Universität.
Einen Beitrag zu den Luxusöffnungszeiten meiner Heimatunibibliothek haben sicher die Studiengebühren geleistet, die es ermöglich haben Hiwis einzustellen und den Bestand, vor allem auch an häufig benutzen Lehrbüchern auszubauen. Zwar zahlt man auch hier in Frankreich “Einschreibegebühren” von ca. 1000 Euro (was je nach Universität variiert), jedoch scheint sich das nicht auf die Bibliothek in dem Maße auszuwirken, wie das die Studiengebühren in Deutschland zum Großteil gemacht haben.

Hopper und Carver – das perfekte Paar

Wer Raymond Carvers Kurzgeschichtenband „Beginners“ liest, sei es in der von seinem Verleger gekürzten Fassung oder der Originalfassung, sollte am besten einen Bildband mit Edward Hoppers Gemälden daneben haben. Denn einige von Hoppers Bildern erscheinen wie die Illustration zu Carvers Geschichten. Sei es „Hotel Room“ oder „Cap Cod Morning“ – die gezeigten Personen wirken ähnlich verlassen wie Carvers Protagonisten, die häufig alkoholabhängig sind, was viele soziale Beziehungen zerstört, da der Alkohol wichtiger als der Freund wird.

Auch was die Technik angeht, ähneln sich der späte Hopper und Carver: in klaren Linien wird die Situation gezeigt: sei es ein Streit in der Küche oder die Hotellobby bei Hopper, die Personen, Gegenstände und architektonischen Abgrenzungen treten klar hervor, mit satten Farben.

Gleichzeitig strahlen Gemälde wie auch Geschichten eine Einsamkeit ohnegleichen aus. Selbst wenn sich wie im Bild „Chop Suey“ zwei Personen gegenübersitzen oder bei Carver ein Dialog stattfindet, hat man den Eindruck sie kommunizieren nicht miteinander, sondern nur nebeneinander vorbei.

Jeder bleibt am Ende doch mit sich und seinen Problemen allein.

Raymond Carver ist auch in der ungekürzten Version sehr empfehlenswert und bleibt auch noch minimalistisch im Schreibstil – allerdings sollte man seine Geschichten nicht in einer Winterdepressionsphase lesen, denn es gibt kein gutes Ende und es wird auch nichts ausgelassen, was hässlich ist. Keine Wohlfühllektüre, dafür aber ein spannender Stil.

 

 

Der nackte Wahnsinn

Man muss wohl sagen, dass Der nackte Wahnsinn von Michael Frayn ein ausgesprochen schlechtes Stück ist. Akt zwei und drei sind eigentlich nur die Wiederholung des ersten Akts – in völliger Übersteigerung des Chaos. Als Stück im Stück konzipiert, handelt Der nachte Wahnsinn davon, wie eine Theatergruppe im Laufe ihrer Tournee ihr Stück nicht nur nicht besser beherrscht, sondern zunehmend schlechter wird. Denn die Konflikte der Schauspieler untereinander werden immer schlimmer und bleiben nicht in den Kulissen, sondern werden auch auf der Bühne ausgetragen.

Dieses Stück nun, findet sich im aktuellen Repertoire des Deutschen Theaters in Göttingen. Und ohne den Anspruch auf intellektuelle Unterhaltung, bietet es durchaus Gelegenheit für einen Abend Amüsement: Besonders im zweiten Akt, der “hinter der Bühne” spielt, und in dem die Streitereien der Schauspieler an der ständigen Grenze zur Gewalt verlaufen. Dies ist auch der Akt, an dem die Schauspieler des deutschen Theaters offensichtlich das meiste Vergnügen haben. Dem Theateralltag nicht mehr so schrecklich nahe, wie es im ersten Akt der Fall ist, aber auch noch nicht so völlig grotesk, wie der dritte Akt, in dem alles endgültig zerfällt. Und doch: Allein der verhaltene Applaus des Publikums zeigt, dass das Vergnügen am Stück nicht daher kommt, dass es so gut ist, sondern daher, dass es so schrecklich ist, dass man es nur noch durchs darüber lachen ertragen kann.

Es ist wie mit schlechten Filmen. Wenn ein gewisser Grad von Niveaulosigkeit überschritten ist, kann man doch wieder daran Spass haben.

Replay

Benjamin Stein denkt in seinem Roman „Replay“ (2012 im C.H.Beck Verlag erschienen) die nahe Zukunft an – was aus unserer heutigen Gesellschaft mit ein bisschen Technikentwicklung werden kann.

Ed Rosen, Informatiker, entwickelt mit dem Biologen Matana ein Implantat, dass ihn wieder die volle Sehqualität gibt, da eines seiner Augen seit Geburt nicht funktionierte. Mit der Zeit erlaubt dieses Implantat auch die Aufzeichnung aller Gefühle und Bilder, die der Träger sieht. Und auch das wieder abspielen dieser, was natürlich vor allem für sexuelle Erlebnisse interessante Perspektiven eröffnet.

Die eigentliche Frage, die das Buch aufwirft, ist aber eher die der Informationsverwaltung. Bereits jetzt lässt sich über die meisten Menschen mehr im Internet erfahren, als vor 20 Jahren es noch möglich war. Allein in Deutschland gibt es 25 Millionen aktive Facebooknutzer und Google besitzt das Suchmaschinenmonopol und kann durch seine zusätzlichen Dienste leicht Nutzerprofile anlegen. Wie im Buch, steigt auch die Anzahl derer, die einen gewissen Verlust über ihre Daten hinnehmen, da es keine Alternativen zu geben scheint, um ähnlichen Komfort oder Vernetzung zu erreichen.

Wollen wir wirklich, dass persönliche Gespräche und Daten über die Server von wenigen großen Firmen laufen, wo wir nicht wirklich wissen, was sonst noch mit unseren Daten passiert? Wo wir keine Kontrolle über die tatsächliche Verwendung unserer Daten haben? Wollen wir wirklich, dass Fotos oder Aussagen, die temporär vielleicht so richtig waren, für immer irgendwo auf der Welt Datenplatz belegen? Denn selbst wenn man sein Profil bei Facebook löschen kann, selbst wenn man bei jeden Onlineshop einfordern kann, dass die Kundendaten gelöscht werden, man weiß nie, wie viel davon bereits in Datenbanken gewandert ist, und zur Marktbeobachtung genutzt wird.

In „Replay“ lässt sich das Implantat nicht mehr abschalten, wieso auch – die andauernde Kommunikation, Speicherung von Aufenthaltsdaten ist gewollt. Kaum jemand hinterfragt es, wo und wie die Daten gespeichert werden. In dieser Welt der Zukunft lassen sich die meisten Kredite oder Geschäfte nur mehr abschließen, sofern man ein Implantat besitzt – denn wer ein Implantat hat, hat nichts zu verbergen. Die „Anonymen“ hingegen, die keines haben, werden mit der Zeit schon per se verdächtig, schließlich können sie, beispielsweise bei der Verbrechungsaufklärung, nicht nachweisen, wo sie gewesen sind, im Gegensatz zu den Implantatsträgern.

Stein versteht es diese beängstigende Zukunftsvision mit der persönlichen Geschichte von Ed Rosen zu verpacken – geeignet als Lektüre für einen Abend, da die Geschichte auf 176 Seiten Platz findet.