Unterhaltung im Medientakt: Zeitstrukturen und Meidenkonsum
Alltagsleben völlig ohne Struktur ist quasi unmöglich. Allein Essen und Schlafen brauchen eine gewisse Regelmäßigkeit. Auch der Jahres-, Monats-, Wochen- und Tageslauf stellen eine „natürliche“ Struktur des Lebens dar. Erzählungen sind mit dem Jahreslauf und (religiösen) Ritualen verbunden. Trotz Säkularisierung sind solche Erzählungen auch immer noch gesellschaftlich präsent. Darüber hinaus können Erzählungen Arbeitsrhythmen, Unterhaltungs- und Ruhephasen strukturieren. So gehört das Erzählen von Geschichten z.B. eher in die dunkle Jahreszeit. Durch Medien wird diese Taktung des Alltags verdichtet. Künstliches Licht und Uhren veränderten die traditionellen Rhythmen von Arbeit und Erholung. Durch den Buchdruck und weitere Medien wurde dann der Medienkonsum zwar zur Sache des Einzelnen, gleichzeitig war aber eine neue Form der Vergemeinschaftung damit verbunden. Diese entstand dadurch, dass durch die Medien feste Strukturen geschaffen wurden, an denen viele Menschen partizipierten. So waren Tageszeitung, Tagesschau und bestimmte Serien bis zur flächendeckenden Nutzung des Internets, wo Nachrichten und Unterhaltung jederzeit für jeden verfügbar sind, Formen, die breite Bevölkerungsschichten miteinander verbanden.
Mediale Angebote führten also lange zu einer Verdichtung der Strukturierung des Alltags, die sahen feste Konsumzeiten vor und lieferten verlässlichen Gesprächsstoff. Durch Smartphones und Tablets wird der Konsum von medialen Inhalten zwar zeitlich unabhängiger, dennoch sind gewisse (alte) Rituale des Medienkonsums (noch) habitualisiert und strukturieren weiterhin den Alltag.
Ob dieser Wandel in der medialen Landschaft auch Auswirkungen auf die Aufnahmefähigkeit hat, ist noch nicht geklärt. C. Hayles unterscheidet zwischen Tiefen- und Hyperaufmerksamkeit. Diese sind aber nicht an den Konsum bestimmter Medienarten gekoppelt. Auch Computerspiele verlangen Tiefenaufmerksamkeit und Lesen kann Hypernetze generieren. Schon in alten Quilts (mit unterschiedlichen Stoffen und Mustern, die nur von Experten entziffert werden können), werden „Hyperlinks“ gesetzt. Neu ist vor allem das Tempo, die Vielfalt und die Art der Datenträger von Hyperverbindungen. Während einerseits immer mehr Berufe Hyperaufmerksamkeit zwingend notwendig machen, gibt es andererseits zunehmend Versuche mit Handarbeit, Yoga und Meditation Gegenkulturen zu schaffen, um Pausen von der Übersimulation zu ermöglichen. Gerade Online-Spiele bieten allerdings eine Form der digitalen Vernetzung, die dem Bild vom vereinzelten Nerd entgegensteht.
Die tiefen Gräben zwischen „Hoch-“ und „Populärkultur“ werden nur langsam aufgebrochen. Die Analyse des seriellen Erzählens trägt dazu ebenso bei, wie das Entstehen neuer medialer Formen durch das Internet. Gerade der hohe Distinktionswert von Smartphones spielt dabei eine Rolle. Hinzu kommt, dass durch Fernsehen und Radio schichtgebundene Unterhaltung immer mehr aufgehoben wurde und die Trennung in „hohe“ und „niedere“ Unterhaltung in den Medien zunehmend erschwert wurde. Auch Werbung trägt zu diesem Prozess bei, besonders weil hochkulturelle Werbung schwierig zu machen ist.
Bis in die 70er Jahre steht „U-Kunst“ unter hohem Rechtfertigungsdruck. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich lange nicht mit Massenunterhaltung. In der Kulturanthropologie wird dieses Tabu erst durch Hermann Bausinger und besonders Kaspar Maase aufgebrochen. Maase kommt dabei das Verdienst zu, die „Schmutz- und Schunddebatte“ aufgearbeitet und „das Recht der Gewöhnlichkeit“ verteidigt zu haben. „Schundliteratur“ hat zwar einerseits einen erstaunlich hohen Leserkreis, andererseits zeigt die Klassifikation ein Bedürfnis Geschmack zu disziplinieren. Besonders deutlich sieht man solche Prozesse heute an der Auseinandersetzung um Computerspiele.
Insgesamt kann gesagt werden, dass Populärkultur ein essentielles Handlungsfeld der Moderne ist, dessen Analyse mehr Aufschluss über die Gesellschaft gibt, als die Analyse von Hochkultur und mündlicher Tradition.
Serielles Erzählen ist keine Erzählform, die im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen steht. Schon die Geschichten aus 1001 Nacht, Epen oder das ritualisierte Vorlesen einzelner Kapitel einer Geschichte zum Einschlafen sind seriell. Etwa seit den 1860er Jahren werden in Printmedien serielle Erzählungen abgedruckt.
Beim seriellen Erzählen gibt es eine starke gegenseitige Beeinflussung von Produktion und Konsumption. Einerseits beeinflusst die Erzählung das Alltagsverhalten der Konsumenten, indem zum Beispiel sehnsüchtig auf den Erscheinungstermin des nächsten Teils gewartet wird, andererseits führt das Beharren der Konsumenten auf das Einhalten von Erscheinungsterminen auch zu veränderten Produktionsbedingungen. Hinzu kommt, dass die regelmäßigen Aufträge eine finanzielle Absicherung für Autoren darstellen.
Frank Kelleter stellt verschiedene Thesen zur Serialität als Erzählprinzip auf:
- Befriedigung der Nicht-Abgeschlossenheit, weil durch das aufgeschobene Ende ein Versprechen auf Fortsetzung besteht
- Negatives Figurendoppel, denn was wäre der Held ohne einen Gegenspieler?
- Serialität verändert im 20. Jahrhundert kulturelle Sphären signifikant
- Figurenkonstanz und Schematisierung der Produktion
- arbeitsteilige Produktion der Erzählung
- hohe Marktabhängigkeit
- starke Intermedialität und Setzen auf Wiedererkennungseffekte (bspw. Schauspieler, die aus anderen Serien erkannt werden)
Zwei Links zu Forschungsprojekten, die sich mit populärer Serialität beschäftigen:
Sonderforschungsbereich 240 (1985-2000) „Ästhestik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien“
DFG Forschergruppe 1091 (2010-). „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“