Category Archives: Serie

Wochenrückblick KW 10

Montag bin ich wieder zur Arbeit gegangen auch wenn ein weiterer Ruhetag vielleicht doch noch etwas besser gewesen wäre. Aber die Ausstellung wird sich leider nicht von alleine erledigen. In einer unserer Aktivstationen gibt es die Geschichte der Heinzelmännchen zu Köln zu lesen – zumindest den Auszug zum Bäcker. Und ich habe mir selten so sehr gewünscht, dass die olle Schneidersfrau nicht so neugierig gewesen wäre! Dann könnte sich meine Arbeit doch auch etwas schneller und einfacher erledigen.

So hätten die Heinzelmännchen doch wenigstens unser Begleitprogramm fertig machen und layouten können! So haben wir zwei Tage eben doch noch mal damit verbracht – aber wenigstens sind die Einladungen zur Ausstellungseröffnung jetzt verschickt. Immerhin konnten in dieser Woche jede Menge Dinge geklärt werden und zwei Wochen vor der Ausstellungseröffnung steht auch schon die Ausstellungsarchitektur! Der Museologe hat die meisten Leihgaben abgeholt und unser fest angestellter Wissenschaftler hat einen Entwurf seiner Ausstellungstexte fertig. Ich konnte neben unzähligen Besprechungen einige der Aktivstationen grafisch gestalten. Nur für meine Texte blieb mal wieder keine Zeit.

Dafür aber habe ich sehr lange mit einer Fachkollegin telefoniert, die (hoffentlich) Geld dafür genehmigt bekommt, dass sie ihre Sammlung fertig inventarisiert. Dazu braucht sie dann Hilfe und so wie es aussieht, könnte ich gerade die richtige dafür sein. Einen Termin zum persönlichen Treffen im April ausgemacht. Und mit etwas Glück ergibt sich dann vielleicht noch ein zweites Inventarisierungsprojekt, so dass ich dieses Jahr noch einige spannende Dinge arbeiten werde.

Am Samstag habe ich mir vormittags die Zeit genommen gemütlich ins nächste Städtchen zu fahren, am Wochenmarkt köstliches Brot und duftende Orangen zu kaufen. Ein Abstecher in der Töpferwerkstatt führt dazu, dass ich demnächst schöne Zuckerdosen haben werde. Und nachmittags habe ich mich dann doch ins Büro gesetzt, um zu schreiben. Und da die unbezahlten Überstunden wenigstens Spaß machen sollten, konnte ich mit Tee und Kuchen versorgt in den Arbeitsmodus verfallen, der sich schon im Studium beim Schreiben von Hausarbeiten bewährt hat: 10 Minuten Schreiben, schön abwechselnd mit 10 Minuten fernsehen. Dank Streamingdiensten kann man ja unendlich viele intellektuell wenig herausfordernde Serien sehen und diese jederzeit unterbrechen.

Nach wie vor weiß ich ja nicht, warum ausgerechnet dieses Konzept für mich beim Verfassen von Erstentwürfen so gut funktioniert. So fühlt sich das Denken jedenfalls nicht so sehr wie Arbeit an, ich fühle mich deutlich später ausgelaugt und die leeren Seiten sind nicht so bedrohlich. Manche Ideen für die ich anders sehr lange grübeln müsste, kommen so gefühlt ganz von allein. Das spannende daran ist ja, dass ich, wenn ich sonst konzentriert arbeiten möchte, alle Störgeräusche ganz fürchterlich finde. Ich möchte weder Musik noch Nachrichten hören und halte Stille für großartig. Spätestens beim Korrekturlesen und Weiterarbeiten muss es dann auch wieder leise sein.

Gruselig ist allerdings, wenn man am Wochenende noch alleine im Büro sitzt, draußen ist es dunkel und plötzlich klopft es ans Fenster. Solches Herzrasen hatte ich schon lange nicht mehr! Dabei stand nur die Kollegin mit den Töchtern vor dem Haus, die so nett waren, mir ein Stück Torte vorbei zu bringen, weil sie Licht gesehen hatten.

Wenigstens am Sonntag war dann Zeit auszuschlafen. Da ich momentan aber ganz von allein recht früh aufwache, war trotzdem noch genug Zeit in der Küche zu stehen. Da habe ich dann die wunderbaren Orangen zu Marmelade verarbeitet – die Geschichte von Paddington Bear hat Spuren hinterlassen. Und da Kuchen zu backen für mich die beste aller Möglichkeiten ist, so richtig abzuschalten und zu entspannen, habe ich mich ans Werk gemacht und eine Schokoladentorte fabriziert. Da kam auch gleich das erste halbe Glas Orangenmarmelade zum Einsatz. So konnte ich zum nachmittäglichen Besuch einer Freundin zum gemeinsamen musizieren gleich noch etwas mitbringen. Wir haben dann diverse neue Stücke ausprobiert und richtig lange Geige gespielt – das war ein wunderbar entspannender Wochenabschluss.

Seriesjunkie: Boradchurch 1 und 2

Mir fiel beim Stöbern auf, dass ich  ja schon richtig lange nichts mehr über irgendwelche Serien geschrieben habe. – Das bedeutet übrigens keinesfalls, dass ich nicht immer noch dauernd welche gucke. Meine letzte Zugfahrt nach Hause zu meinen Eltern habe ich beispielsweise damit verbracht die zweite Staffel von Broadchurch zu gucken.

Da ich bekennender Doctor Who Fan bin und besonders David Tennant als den 10. Doctor liebe, habe ich irgendwann angefangen, quasi alles zu gucken, was ich mit ihm finden konnte. (Keine Ahnung von Doctor Who? Bitte hier lang zu Wikipedia. Neugierig geworden? Mit den 2005er Folgen anfangen und die ersten beiden Episoden im Fernsehen doch sehr ungewohnter Erzählweise durchhalten. Nach der ersten Staffel weinen, die erste Folge der zweiten Staffel erst hassen und dann um so mehr lieben!)

Genau so kam ich auch auf Broadchurch. Dabei handelt es sich um eine der wundervollen englischen Mini-Series. Bei Broadchurch handelt es sich um eine der Serien, die zwischen den Genres angesiedelt sind. Broadchurch beginnt wie ein Krimi mit einem Mord. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit zur Aufklärung des Falls nimmt auch einen wichtigen Teil der ersten Staffel ein. Die beiden Detectives Ellie Miller (Olivia Colman) und Alec Hardy (David Tennant) suchen den Mörder eines kleinen Jungen, Danny Latimer. Daneben zeigt die Serie aber auch, was der Mord an Danny mit der Gemeinschaft in der Kleinstadt macht und wie er das soziale Beziehungsgefüge zerstört. Es wird der Medienrummel nach dem Mord ebenso gezeigt, wie die Verzweiflung der Eltern Beth (Jodie Whittaker) und Mark (Andrew Buchan).

Der Spannungsbogen wird geschickt über die acht Episoden gezogen. Immer wieder tauchen neue Verdächtige auf. Immer wieder führt ein neuer Verdacht dazu, dass eine weitere Beziehung einen Vertrauensbruch erleidet. Die Cliffhanger am Ende jeder Folge führen dazu, dass man unbedingt weiter gucken möchte. Es handelt sich definitiv um Binge-Watching-Material.

Glücklicher Weise gibt es schon eine zweite Staffel zu Broadchurch. Diese zeigt nicht einfach einen neuen Fall, sondern führt weiter, was schon in der ersten Staffel begonnen wurde: Zu zeigen, wie der Mord an einem Jungen die Verhältnisse in einer Stadt verändert. Dabei greift die Staffel alte Fäden aus der ersten Staffel auf. So wird ein weiterer Mordfall, an dem Alec Hardy arbeitete, bevor er nach Broadchurch kam, in den Fokus gerückt. Entsprechend gibt es zwei Handlungsstränge. Zum einen ist das die Gerichtsverhandlung um den Mörder von Danny. Zum anderen sind es eben die wieder aufgerollten Ermittlungsarbeiten am anderen Mordfall. Dieser kontrastierte schon in der ersten Staffel die Ermittlungsarbeiten. Nun bildet er eine Folie für die Gerichtsverhandlung.

Das tolle an der zweiten Staffel ist, dass sie völlig entgegen meiner Erwartungen nicht einen neuen Fall aufmacht – wie das bei anderen Krimiserien so ist – sondern genau da weiter erzählt, wo die erste Staffel abgebrochen hat. Außerdem führt sie fort, was schon in der ersten Staffel auffällig war: Die Serie wird vor allem von den starken Frauenfiguren getragen. In der ersten Staffel sind das vor allem Olivia Colman als Elli und Jodie Whittaker als Beth. Jetzt kommt noch Charlotte Rampling als Anwältin Jocelyn Knight dazu. Das besonders faszinierende ist, dass in Broadchurch ganz selbstverständlich sehr unterschiedliche weibliche Lebensentwürfe und Charaktere gezeigt werden. Alle Frauen sind völlig normal. Gleichzeitig sind sie aber sehr unterschiedlich in ihrem Charakter, ihren Fähigkeiten und ihrer Lebensweise. Davon braucht das Fernsehen dringend mehr.

Außerdem kann man in Broadchurch natürlich David Tennant dabei zusehen brilliant zu sein. Aber das braucht fast keine Erwähnung.

Wie soll ich sagen: Broadchurch kann man ziemlich gut (noch mal) gucken. Es ist spannend, unterhaltend und vielfältig. Und wie ich gerade gesehen habe, ist für nächstes Jahr auch schon die dritte Staffel angekündigt. *freu*

Wie Tumblr eine Serie schrieb

Ich bin Fan. Was lag also für mich näher als in der Vorlesung „Vom Märchenleser zum Serienjunkie“ eine Arbeit über Fans zu schreiben. Dort kam auch noch Sherlock ins Spiel und die Rede darauf, wie (besonders durch das Internet) Fans nicht mehr nur Medienkonsumenten, nicht mehr nur Mediennutzer sondern “Produser” werden, also in das Zwischenfeld zwischen der Nutzung von medialen Inhalten und einem eigenen Beitrag dazu eintreten. Was im Internet in den zwei Jahren zwischen der Ausstrahlung der zweiten und dritten Staffel von Sherlock passierte, fällt meiner Meinung nach genau in dieses Feld: Die Fans füllen Foren, Websiten und Blogs mit Theorien und Wissen zur Frage „Wie überlebt Sherlock“. Da sie dabei so gründlich vorgehen, dass keine Sekunde der Folge S02E03 unanalysiert bleibt, gibt es zwangsläufig eine Rückwirkung auf die folgende Episode. Die Autoren können nicht an den Theorien der Fans vorbei.
Für den theoretischen Hintergrund habe ich mich mit der Frage vom Zusammenhang von Serialität und Alltagskultur, der Rolle von Fans für solche Serien und dem Konzept von “Produsage” auseinander gesetzt.

Als Quelle für die Aktivitiäten der Fans benutzte ich vornehmlich ein Forum, in dem die Fans wiederum auf viele andere Seiten verlinken. Darüber hinaus habe ich mich natürlich in den Weiten des Internets verloren und stundenlang Video-Material zur Serie geguckt, auf das ich in meiner Analyse aber nur am Rande eingehe. Im Forum nutzen die Fans verschiedene Threads, um ihre Theorien und Fragen zur Serie zu diskutieren, miteinander zu argumentieren und versuchen auf eine Lösung zu kommen. Die Analysen von #SherlockNotDead sind vielfältig und mit unglaublichem Enthusiasmus und enormer Ausdauer verfasst.

Zum Schluss werde ich zeigen, welche Rückwirkungen die Theorien der Fans auf die erste Folge der dritten Staffel hat, von der die Fans erwartet haben, dass sie die Frage nach dem Überleben Sherlocks klärt.

Die Fanseite sherlock.broadhost ist ein gutes Beispiel um “produsage” von Fans zu beobachten. Jeder Diskussionsteilnehmer kann dort gleichberechtigt seine Ideen und Theorien vorstellen und trägt somit dazu bei dem gemeinsamen Ziel, herauszufinden wie Sherlock es schafft zu überleben, näher zu kommen. Im Prozess der Wissensproduktion evaluieren und kritisieren sich die Fans gegenseitig und verbessern so ihre Theorien, decken Fehler auf und gleichen Meinungen ab. Tendenziell ist die Diskussion dabei ohne Abschluss. Für Forschungsfragen, die zu beantworten schwierig wird, wenn sich das Feld ständig im Wandel befindet, ist aber gerade interessant, dass durch die Definitionsmacht der Serien-Produzenten dennoch eine endgültige Version existieren kann. Während in den frühen Folgen von Sherlock anderer Forschung zufolge kein „folding text“ stattfindet, wirkt sich die “produsage” der Fans nach der zweiten Staffel auf die Weitererzählung in der folgenden aus. Dies muss schon zwangsläufig der Fall sein, weil die von den Fans produzierten Ideen so vielfältig sind, dass es keine weiteren Möglichkeiten gibt, wie Sherlocks Überleben erzählt werden könnte, die noch nicht irgendwo aufgegriffen wurden. Folglich bleibt den Autoren wenig anderes übrig, als kreativ mit den schon veröffentlichten Ideen der Fans umzugehen. Dabei behandeln Stephen Moffat und Mark Gatiss die Fans allerdings manchmal etwas von oben herab, insbesondere wenn sie die Spekulationen der Fans an die unsympathisch gezeichnete Figur von Anderson binden, die innerhalb der Serie auch noch für Sherlocks Tod mitverantwortlich gemacht wird.

Be careful what you post on Tumblr…

Die Einleitung und ein Ausblick findet sich hier. Den theoretischen Hintergrund behandle ich im Post Serien – Fans – Produsage und den ersten Teil meiner Analyse im Post #SherlockNotDead.
 

Die Spekulationen der Fans darüber, wie Sherlock überlebt, sind nicht nur für sich eine Form von Produsage. Sie wirken darüber hinaus auch auf die Autoren der Serie und die offizielle Version der Handlung zurück. So zeigten Moffat, Gatiss und Vertue, die als Produzenten von Sherlock auf der Comic Con 2013 anwesend waren, bespielsweise ein Video mit Grüßen von Martin Freemann und Benedict Cumberbatch, in dem Cumberbatch „verrät“, wie Sherlock überlebt:

Allerdings sind die Stichwörter, die durch die Cuts und Störgeräusche zu hören sind und Cumberbatchs Gesten so übertrieben, dass dieses Video kaum auf die Spekulationen der Fans zurück wirkt. Hinzu kommt, dass Mitte 2013 The Reichenbach Fall von den Fans auch so sehr analysiert ist, dass wirklich nichts neues mehr dazu gesagt werden kann und die Spekulationen nachgelassen haben.

The Empty Hearse

Obwohl die Fans den Fall Sherlock Holmes teilweise betrachten, als wäre er nicht-fiktional und neben dem Filmmaterial auch den realen Drehort in ihre Analysen mit einbeziehen, anerkennen sie dennoch das (innerhalb von Produsage-Kontexten eigentlich nicht mehr gegebene) Recht Moffats und Gatiss‘ die „wahre“ Geschichte zu erzählen:

sherlocked: When the episodes of the third season are aired, we all have to read our little theories again and might smile a lot.

Dennoch haben die Spekulationen der Fans auch direkte Auswirkungen auf die erste Folge der dritten Staffel, in der erzählt werden muss, wie es passieren kann, dass Sherlock Holmes überlebt. Der Guardian zitiert Moffat, der sagt, dass es viel mehr Spass mache sich selbst Theorien zu überlegen, als erzählt zu bekommen, was passiere und Gatiss, der bemerkt, dass es eben nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten gebe, wie man von einem Gebäude springen könnte.
*********Spoilers für The Empty Hearse
Dies wird auch in der Folge aufgegriffen, wenn Sherlock sagt:

I calculated that there were thirteen possibilities once I’d invited Moriarty onto the roof. (…) The first scenario involved hurling myself into a parked hospital van filled with washing bags. Impossible. The angle was too steep. Secondly, a system of Japanese wrestling …

Da die Fans in zwei Jahren des Überanalysierens definitiv jede der Möglichkeiten abgedeckt haben, wirken die in The Empty Hearse präsentieren Möglichkeiten, als hätten Moffat und Gatiss im Internet abgeschrieben, was die Fans natürlich bemerken und kommentieren:
Careful what you post
How Sherlock was written

Insgesamt werden in The Empty Hearse drei Versionen erzählt, wie Sherlock überlebt haben könnte. Dabei wird jeweils sorgfältig darauf geachtet, dass am Ende der Erzählung deutlich wird, dass auch diese Version nur Spekulation bleibt. In den ersten beiden Fällen ist dies sehr deutlich markiert. Hier kommentieren andere Figuren die jeweilige Erzählung als unwahrscheinlich. Während die erste Version, die Anderson als ehemaliges Mitglied der Forensik DI Lestrade erzählt plausibel erscheint, bis er in seiner Erzählung von Lestrade unterbrochen wird, wird die zweite Version schon innerhalb der Erzählung skurril, wenn ein weiblicher Fan eine Romanze und einen Kuss zwischen Sherlock und seinem Erzfeind Moriarty beschreibt. Die dritte Version versteckt am geschicktesten, dass es sich nur um eine Theorie und nicht um die „Wahrheit“ handelt. Denn hier ist Sherlock selbst derjenige, der erzählt. Hinzu kommt, dass die Erzählung als Einschub in genau dem Moment erfolgt, als Sherlock und John mit einer tickenden Bombe in der U-Bahn festsitzen und deshalb wirkt, als würde Sherlock nun endlich John berichten, wie er sein Überleben geplant hat. John, der zwar im Doyle-Canon den Wissenshorizont der Leser repräsentiert, wird in der Serie allerdings vom Erzähler zur Figur, die oft weniger weiß, als die Zuschauer. Beim genauen (oder zweiten) Hinsehen stellt sich dann auch heraus, dass auch diese Erzählung nur eine Version ist, die Sherlock Anderson präsentiert, um ihm zum Narren zu halten. Anderson kann in der gesamten Episode, anstelle von John, mit den Fans und Zuschauern identifiziert werden. Er ist obsessiv davon besessen herauszufinden, wie Sherlock es schafft den Sprung zu überleben, übersieht die entscheidenden Hinweise und hat so viele Theorien entwickelt, dass er schon den Überblick verliert. Um Wissen zu sammeln, organisiert er sogar einen Fan-Club. Sein frustrierter Zusammenbruch, als er erkennt, dass Sherlock ihm nicht die echte Geschichte erzählt hat, kann als vorher genommene Reaktion der Fans interpretiert werden.

Serien, Fans und Produsage

Die Einleitung zu diesem Artikel findet sich hier.
 

Fernsehen findet heute eigentlich im Internet statt. Fans streamen ihre Lieblingsserien, sammeln und diskutieren in Wikis und Foren jedes Detail, das es über Schauspieler, Produzenten und Inhalte zu finden gibt, und führen darüber hinaus die Geschichten in Fanfiction, Fan Art und Fan Videos selbst fort. Serielles Erzählen im TV, Fans und Formen von Produsage haben die Medienlandschaft verändert.

Serialität

Im Tagungsband „Populäre Serialität“ betont Frank Kelleter den Zusammenhang von Populärkultur und Serialität 1. Serien zeichnen sich dadurch aus, dass sie fortlaufenden Geschichten sind, die der Wiedererkennbarkeit wegen standardisiert sind, gleichzeitig aber immer neue Wendungen nehmen müssen, um spannend zu bleiben 2. Serien sind leicht in das Alltagsleben zu integrieren und können

eine geradezu epidemische, d.h. außergewöhnlich reproduktionsintensive und differenzierungsfreudige Wirkung auf die alltägliche und zunehmend auch die öffentliche Kommunikation ihrer Leser, Zuschauer und Produzenten entfalten“ 3

Bedingt wird dies vor allem durch einen Veränderung des seriellen Erzählens, die vielfach an der amerikanischen Serie The Sopranos (HBO 1999-2007) festgemacht wird. Im so genannten Quality-TV werden „narrativ komplexe Sendungen“ 4 gezeigt, die sich deutlich von konventionellen Produktionen unterscheiden: Sie kombinieren episodische Handlungsstränge mit multiepisodischen Handlungsbögen 5 und haben eine gesteigerte Selbstbezüglichkeit 6. Durch diese veränderte Erzählstrategie verschiebt sich das Interesse der Zuschauer von den Erzählinhalten auf die Art und Weise, wie erzählt wird 7. Serien die so erzählt werden, zeichnen sich durch eine hohe „rewatchability“ 8 aus, Fans gucken diese Serien wieder und wieder und können dabei immer neue Facetten der Erzählung entdecken. Diese Fans werden auch selbst aktiv, indem sie über die Serien diskutieren. Ihr Feedback wird für die Autoren und Autorinnen der Serien und den weiteren Verlauf der Geschichten wichtig 9. Aber auch für die Verbreitung der Serien über verschiedene mediale Systeme, unterschiedliche Medienökonomien und nationale Grenzen ist die aktive Teilnahme der Seriengucker wichtig 10.

Fans

Fans tun ganz explizit das, was alle anderen auch tun: Sie beschäftigen sich jeden Tag mit Texten und Medien. Sie gehen mit diesen (und ihrem Fan-Sein) spielerischen um und nehmen sich selbst meist nicht allzu ernst 11. Da Fans den medialen Wandel repräsentieren werden sie für die Rezeptionsforschung besonders relevant 12. Faye beschreibt in ihrem Vorwort zu Sherlock and Transmedia Fandom die Gefühlslage von Fans:

„What we want is more stories, and we will find them – one way or another, and by various methods, each suited to our nature and our age and our tastes and our creativity.“ 13

Eine besondere Rolle bei der Fortführung von Geschichten durch Fans spielt Fanfiction. Diese erfüllt nicht nur das Bedürfnis von Fans nach immer weiteren Geschichten. Durch Fanfiction füllen Fans auch Lücken die in der seriellen Erzählung vorhanden sind 14, oder interpretieren Figuren und Handlungen ganz anders als im Original, wenn ihre Leseerwartung von den Autoren nicht erfüllt wird 15. Durch das Internet und Seiten wie fanfiction.net w oder livejournal.com können Fans dabei nicht nur ihre Geschichten besonders leicht veröffentlichen, sondern auch gegenseitig kommentiern und so verbessern und verändern. Auch multible Autorenschaften und intertextuelle Verweise werden auf diesen Plattformen erleichtert 16. In ihrem Band zu Fanfiction schreibt Jamison: „Sometimes, at some of its best times, fanfiction is a game writers play for the game‘s own sake.“ 17.

Zwischenbemerkung: Sherlock Holmes und Fanfiction

Während Harry Potter zumindest auf fanfiction.net, einer der größten Seiten auf der Fanfiction publiziert werden kann, mit über 680000 Geschichten 18 das Buch mit den meisten Fanfictions ist, kann Sherlock Holmes auf eine sehr lange Geschichte der Pastiches und Fanfictions zurückblicken 19. Sherlock Holmes, ist nach Jamison, die Figur mit den meisten spin-offs, Pastiches und Adaptionen in den unterschiedlichsten Medien 20. Diese Geschichten wurden in Fanzines, also von Fans herausgegebenen Magazinen, veröffentlicht. Üblicherweise erzählen sie im Doyleschen Kanon erwähnte, aber nicht ausgeführte Fälle 21. Als Modus der Erzählung wählen die Fans dabei den gleichen Stil, wie A.C. Doyle 22. Sie spielen „The Great Game“, in dem sie die Geschichten von Sherlock Holmes so betrachten, als hätte es Sherlock Holmes und John Watson tatsächlich gegeben. Doyle wird in diesem Kontext nur noch zum Chronisten, der reale Ereignisse aufschreibt 23. Weil sich Fans durch diesen Schreibmodus besonders intensiv mit den Figuren und dem Stil des Kanons auseinandersetzten, haben sie ein „even more complicated relationship with the fidelity of adapitions than does the average critical fandom.“ 24
Im Internet finden sich Geschichten zu Sherlock Holmes allerdings erst, seit der Veröffentlichung von Sherlock (BBC 2010-) 25. Auf fanfiction.net gehört Sherlock mit 46200 Geschichten zu den Top 5 der Serien 26 Grund für diese extrem Hohe Zahl an Geschichten ist, dass Sherlock mit 3 Staffeln pro Episode eine ausnehmend kurze Serie ist und die einzelnen Staffeln darüber hinaus auch noch mit einem Abstand von zwei Jahren gesendet werden.
Hiatus
Dennoch ist die Serie sehr erfolgreich, und das obwohl Sherlock Holmes viele Eigenschaften (wie beispielsweise sein Drogenmissbrauch) und ikonographische Details (der Deerstalker) fehlen, die sonst für Adaptionen üblich sind. Gleichzeitig steckt sie aber voll Referenzen auf den Kanon der Geschichten von Doyle, die auch immer noch wirken, obwohl Sherlock keine historische sondern eine moderne Adaption ist. Die Serie spielt im England des 21. Jahrhunderts und Sherlock Holmes benutzt moderne Technologien um seine Fälle zu lösen. Auch die Visualiserung der Handlung durch Kameraführung und Texteinblendungen ist sehr modern. Allerdings kritisiert Balaka Basu, dass Sherlock viele Aspekte des modernen Lebens in Londen unterschlage und wirke wie eine Vorstellung des 21. Jahrhunderts aus dem 19. Jahrhundert gesehen 27.
Da die Regeln von Fanfiction weniger streng sind, als die von „The Great Game“ 28 und das Bedürfnis der Autoren mehr über die Figuren zu erfahren groß ist 29, gibt es keine Variation von Figurenkonstellation oder Handlung mehr, die zu Sherlock noch nicht erzählt ist: „There‘s not one lonely little kink left unloved in the Sherlock fandom.“ 30. Die Geschichten auf fanfiction.net drehen sich dabei vor allem um die emotionalen Aspekte der Serie. Denn während zwar von allen Figuren immer wieder eine romantische Beziehung zwischen Sherlock und John angedeutet wird, streiten die beiden diese mit einer Vehemenz ab, die es verlockend macht ihre Geschichte anders zu erzählen. Unter dem Hashtag #Johnlock schreiben Fans zu allen Aspekten der Bromance.
*********Spoilers für The Reichenbach Fall
Auch das Ende von The Reichenbach Fall wird in Fanfictions ausgiebig thematisiert. Denn obwohl sich die gesamte Episode nur darum dreht, zu erzählen, wie Sherlock Selbstmord begeht, wissen die Zuschauer zwar am Ende, wie es dazu kam, aber nicht, wie es passieren konnte, dass er doch überleben konnte. Die Fanfiction zu The Reichenbach Fall bleibt allerdings vornehmlich innerhalb der Regeln von The Great Game und damit in der Perspektive von John Watson, der im Gegensatz zu den Zuschauern nicht weiß, dass Sherlock Holmes noch lebt. Die Geschichten erzählen also besonders den Trauerprozess der unterschiedlichen Charaktere.
*********Ende Spoilers für The Reichenbach Fall

Produsage

Die Interaktion von Fans mit ihren Serienhelden oder der Übergang vom passiven Konsum zur aktiven Nutzun markiert einen Kulturellen Shift, den Jenkins als „convergence culture“ 31 bezeichnet: „Convergence involves both a change in the way media is produced and a change in the way media is consumed.“ 32. Der gleiche Prozess wird von Bruns als „produsage“ beschrieben und detailliert ausgeführt. Produsage steht ihm zufolge im direkten Kontrast zur industriellen Produktion und ist durch einschneidende Veränderungen in der Produktionskette von Produzenten über Händler zu Konsumenten geprägt 33. Durch das Internet als Massenmedium verändert sich der Zugang zu Informationen und Produktionsmitteln, es entstehen peer-to-peer Modelle sozialer Organisation und das Teilen von Inhalten wird immer einfacher 34. Konsumenten werden zu Nutzern und können mit den Produzenten auf gleicher Ebene kommunizieren 35. Im Internet werden Nutzer aktiv involviert, die Trennung zwischen Produktion und Nutzung von Inhalten kann immer weniger klar vollzogen werden 36. In diesem „Produktionsprozess“, der in viele kleine Einzelschritte geteilt ist, die jederzeit von allen eingesehen werden können, ist jeder Beitrag gleichwertig. Das Produkt, das am Ende entsteht ist der Allgemeinheit zugänglich 37, oder nach v. Hippel ein „commons“ 38, das ständig in Entwicklung bleibt 39.

Sherlock entsteht als Fanprodukt von Steven Moffat und Mark Gatiss 40. Durch die geschickte Übertragung in die Moderne, schaffen Moffat und Gatiss es die Serie außerhalb des üblichen Fan-Diskurses zu stellen und so sowohl neue Zuschauergruppen zu erschließen, als auch die alten Sherlock-Holmes-Fans, die eigentlich besonders kritisch sind, für sich zu gewinnen 41. Dadurch wurde die Serie für die Forschung besonders interessant, denn es können nicht nur individuelle und gemeinschaftliche Fan-Zugänge, sondern auch unterschiedliche Generationen von Fans analysiert werden 42. Obwohl die Serie explizit ein Fan-Produkt von Moffat und Gatiss ist, stellen sowohl Hills als auch Basu in ihren Analysen fest, dass die beiden als Autoren Fanfiction zwar anerkennen, aber sich und die Serie zumindest in den ersten beiden Staffeln davon distanzieren 43. In der Folge gebe es auch kein „folding text“ (nach Berger/Marlow), „where non-canonical fan wirting can supposedly be folded back into canonical, professional screenwriting.“ 44 Dabei regt die Serie als teil von „media culture permeated with clues and vital knowledge,“ 45 die Fans ganz besonders dazu an über die erzählten Geschichten zu spekulieren.
 

Weiter geht es mit Teil 1 meiner Analyse #sherlockNotDead und Teil 2 Be careful what you post on Tumblr…

  1. (Kelleter) S. 12
  2. (Kelleter) S. 22
  3. (Kelleter) S. 23
  4. (Mittell) S. 97
  5. (Mittell) S. 106
  6. (Mittell) S. 110, (Kelleter) S. 21
  7. (Mittell) S. 111
  8. (Mittell) S. 102
  9. (Mittell) S. 104
  10. Jenkins, H. (2006) Convergence Culture. Where Old and New Media Collide. New York, London. S. 3
  11. (Booth) S. 12
  12. (Booth) S. 1
  13. (Faye) S. 2
  14. (Booth) S. 6
  15. (Jamison) S. 31
  16. (Faye) S. 2f
  17. (Jamison) S. 8
  18. https://www.fanfiction.net/book/ zuletzt eingesehen: 12.05.2014
  19. Im Gegensatz zu Fanfiction, die ausschließlich dadurch definiert wird, dass sie eben von Fans geschrieben wird, imitieren Pastiches auch den Stil ihres Vorbildes.
  20. (Jamison) S. 40
  21. (Jamison) S. 43
  22. Polasek, A. D. (2012) ‘Winning “The Grand Game”. ‘Sherlock’ and the Fragmentation of Fan Discourse’. In: Louisa Ellen Stein & Kristina Busse (Hg.): ‘Sherlock’ and Transmedia Fandom. Essays on the BBC series. Jefferson (North Carolina), London. S. 41–54. Hier: S. 43
  23. Stein, L. E. & Busse, K. (2012) ‘Introduction: The Literary, Televisual and Digital Adventures of the Beloved Detective.’. In: Louisa Ellen Stein & Kristina Busse (Hg.): ‘Sherlock’ and Transmedia Fandom. Essays on the BBC series. Jefferson (North Carolina), London. S. 9–24. Hier: S. 18
  24. Polasek (2012) S. 44
  25. (Jamison) S. 46
  26. https://www.fanfiction.net/tv/ zuletzt eingesehen: 12.05.2014
  27. Basu, B. (2012) ‘‘Sherlock’ and the (Re)Invention of Modernity’. In: Louisa Ellen Stein & Kristina Busse (Hg): ‘Sherlock’ and Transmedia Fandom. Essays on the BBC series. Jefferson (North Carolina), London. S. 196–209. Hier: S. 199
  28. Polasek (2012) S. 49
  29. (Faye) S. 5
  30. (Atlin Merrick) S. 50
  31. Jenkins (2006) S. 3
  32. Jenkins (2006) S. 16
  33. (Bruns) S. 9
  34. (Bruns) S. 13f
  35. (Bruns) S. 14
  36. (Bruns) S. 18
  37. (Bruns) S. 19f
  38. (Bruns) S. 23
  39. (Bruns) S. 22
  40. Adams, G. (2012) Sherlock. The Casebook. Wemding. S. 2f
  41. Polasek (2012) S. 41f
  42. Stein/Busse (2012) S. 16
  43. Hills, M. (2012) ‘”Sherlock’s” Epistemological Economy and the Value of “Fan” Knowledge. How Producer-Fans Play the (Great) Game of Fandom’. In: Louisa Ellen Stein & Kristina Busse (Hg.): ‘Sherlock’ and Transmedia Fandom. Essays on the BBC series. Jefferson (North Carolina), London. S. 27–40. Hier: S. 34f; Basu (2012) S. 209
  44. Hills (2012) S. 35
  45. Hills (2012) S. 31f

Vom Märchenleser zum Serienjunkie (11)

Serienkonsum, Soziabilität, Partizipation. Der Geschichten getränkte Alltag

Serienwissen schafft neue Narrative. Serien führen zur Verdichtung von narrativem Wissen. Serien führen zum von Geschichten durchdrängten Alltag.

Fans produzieren neue, breit rezipierte Medieninhalte:

Die Zirkulation von Erzählinhalten ist eng verbunden mit Distinktionsmechanismen. Während im 19. Jahrhundert der bürgerliche Geschmack und die Felder der Kultur, die als “Hochkultur” bezeichnet werden, prägend sind, werden im 21. Jahrhundert Wertzuschreibungen ausgeweitet. Nun können auch populäre Stoffe der Distinktion dienen. Die Unterhaltungsindustrie führt zu einer Globalisierung von Unterhaltung und dazu, dass auch andere als europäisch-bürgerliche Skalen von Wertzuschreibungen relevant werden (Bsp. indische Hochkultur, japanische Animes). Werte werden in der Folge zunehmend hybrid. Die Zuordnung zu bestimmten Geschmacksschichten wird schwierig.

In seinem Talk auf dem 11. Kongress der SIEF zeigt Joep Leerssen beispielsweise, wie das Schlafmotiv aus Schneewittchen weltweit zirkuliert:

Urban beschreibt den Prozess von “Metaculture”: durch Zirkulation der Inhalte kommt es zu immer stärkerer Medienverdichtung. Dieser Prozess beschleunigt sich immer mehr. Gerade Remakes und Retellings, bei denen der selbe Stoff in neuen Medien adaptiert wird, tragen dazu bei (Bsp. Miss Marple: Buch => Film; Feuervogel/Phönix: Erzählung => Märchen => Ballett). Besonders in Hollywood ist diese Methode sehr beliebt. Dem gegenüber steht, dass mündliches Erzählen eigentlich immer ein Remake ist, da jede Erzählperformanz einmalig ist. Remakes können als Varianz des Seriellen aufgefasst werden. Auch sie spielen mit der Lust an Varianz und Differenz des immer selben Stoffes.
Erst durch die Rezipienten wird die Zirkulation von Inhalten erfolgreich. So folgen beispielsweise die Rezipientinnen von Buffy dem Produzenten Joss Wheedon und den Schauspielern zu anderen Serien wie Angel und Bones.
Während Vereine eine aussterbende Organisationsform des 19. Jahrhunderts zu sein scheinen, wachsen digitale Vernetzung und Fan-Conventions.

Der Konsum von Serien regt auch die Lust am eigenen Erzählen an. Fanzines und Fanfiction-Foren geben ein eindrucksvolles Beispiel davon. Diese Erzählungen von Fans werden mit hohem Aufwand an kreativer Energie und Arbeit produziert. Sie heben den Status von Serien und lassen Handlung und Charaktere von Erzählungen in Varianten fortleben. Autorenschaft kann in der Folge nicht mehr klar von Rezeption getrennt werden. Es entstehen neue Formen von “narrativen Allmenden” oder erzählerischem Gemeingut, auf die gegenwärtig gültiges Urheberrecht nicht mehr anzuwenden sind.

Durch das Zusammenwachsen von Übertragungs- und Nutzungswegen, der Vernetzung von Produktion, Produkt, Distribution und Rezeption und der multiblen, parallelen und überlappenden Nutzung von Erzählungen entstehen verschiedene Formen der Medienkonvergenz. Alex Bruns beschäftigt sich mit verschiedenen Formen von Produsage, also Formen bei denen zwischen Produktion und Nutzung von Inhalten nicht mehr klar getrennt werden kann. Ein Beispiel für die Möglichkeit Dinge nicht nur zu nutzen, sondern sich auch in die Produktion einzubringen, ist Wikipedia. Die Dichotomie zwischen passivem Konsumenten und aktivem Produzenten wird bei solchen Formen zumindest teilweise aufgelöst. Allerdings gibt es auch Formen, wie beispielsweise Fanwikis, die ursprünglich von Rezipienten also als Form von Produsage entstanden sind, heute aber wieder von Seite der Produzenten gleich beim Erscheinen von Serien oder Filmen mitgeliefert werden.
In der Convergence Culture werden Erzählungen bewusst so konstruiert, dass die Partizipation daran möglich ist.

Vom Märchenleser zum Serienjunkie (9)

Unterhaltung im Medientakt: Zeitstrukturen und Meidenkonsum

Alltagsleben völlig ohne Struktur ist quasi unmöglich. Allein Essen und Schlafen brauchen eine gewisse Regelmäßigkeit. Auch der Jahres-, Monats-, Wochen- und Tageslauf stellen eine „natürliche“ Struktur des Lebens dar. Erzählungen sind mit dem Jahreslauf und (religiösen) Ritualen verbunden. Trotz Säkularisierung sind solche Erzählungen auch immer noch gesellschaftlich präsent. Darüber hinaus können Erzählungen Arbeitsrhythmen, Unterhaltungs- und Ruhephasen strukturieren. So gehört das Erzählen von Geschichten z.B. eher in die dunkle Jahreszeit. Durch Medien wird diese Taktung des Alltags verdichtet. Künstliches Licht und Uhren veränderten die traditionellen Rhythmen von Arbeit und Erholung. Durch den Buchdruck und weitere Medien wurde dann der Medienkonsum zwar zur Sache des Einzelnen, gleichzeitig war aber eine neue Form der Vergemeinschaftung damit verbunden. Diese entstand dadurch, dass durch die Medien feste Strukturen geschaffen wurden, an denen viele Menschen partizipierten. So waren Tageszeitung, Tagesschau und bestimmte Serien bis zur flächendeckenden Nutzung des Internets, wo Nachrichten und Unterhaltung jederzeit für jeden verfügbar sind, Formen, die breite Bevölkerungsschichten miteinander verbanden.
Mediale Angebote führten also lange zu einer Verdichtung der Strukturierung des Alltags, die sahen feste Konsumzeiten vor und lieferten verlässlichen Gesprächsstoff. Durch Smartphones und Tablets wird der Konsum von medialen Inhalten zwar zeitlich unabhängiger, dennoch sind gewisse (alte) Rituale des Medienkonsums (noch) habitualisiert und strukturieren weiterhin den Alltag.

Ob dieser Wandel in der medialen Landschaft auch Auswirkungen auf die Aufnahmefähigkeit hat, ist noch nicht geklärt. C. Hayles unterscheidet zwischen Tiefen- und Hyperaufmerksamkeit. Diese sind aber nicht an den Konsum bestimmter Medienarten gekoppelt. Auch Computerspiele verlangen Tiefenaufmerksamkeit und Lesen kann Hypernetze generieren. Schon in alten Quilts (mit unterschiedlichen Stoffen und Mustern, die nur von Experten entziffert werden können), werden „Hyperlinks“ gesetzt. Neu ist vor allem das Tempo, die Vielfalt und die Art der Datenträger von Hyperverbindungen. Während einerseits immer mehr Berufe Hyperaufmerksamkeit zwingend notwendig machen, gibt es andererseits zunehmend Versuche mit Handarbeit, Yoga und Meditation Gegenkulturen zu schaffen, um Pausen von der Übersimulation zu ermöglichen. Gerade Online-Spiele bieten allerdings eine Form der digitalen Vernetzung, die dem Bild vom vereinzelten Nerd entgegensteht.

Die tiefen Gräben zwischen „Hoch-“ und „Populärkultur“ werden nur langsam aufgebrochen. Die Analyse des seriellen Erzählens trägt dazu ebenso bei, wie das Entstehen neuer medialer Formen durch das Internet. Gerade der hohe Distinktionswert von Smartphones spielt dabei eine Rolle. Hinzu kommt, dass durch Fernsehen und Radio schichtgebundene Unterhaltung immer mehr aufgehoben wurde und die Trennung in „hohe“ und „niedere“ Unterhaltung in den Medien zunehmend erschwert wurde. Auch Werbung trägt zu diesem Prozess bei, besonders weil hochkulturelle Werbung schwierig zu machen ist.
Bis in die 70er Jahre steht „U-Kunst“ unter hohem Rechtfertigungsdruck. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich lange nicht mit Massenunterhaltung. In der Kulturanthropologie wird dieses Tabu erst durch Hermann Bausinger und besonders Kaspar Maase aufgebrochen. Maase kommt dabei das Verdienst zu, die „Schmutz- und Schunddebatte“ aufgearbeitet und „das Recht der Gewöhnlichkeit“ verteidigt zu haben. „Schundliteratur“ hat zwar einerseits einen erstaunlich hohen Leserkreis, andererseits zeigt die Klassifikation ein Bedürfnis Geschmack zu disziplinieren. Besonders deutlich sieht man solche Prozesse heute an der Auseinandersetzung um Computerspiele.
Insgesamt kann gesagt werden, dass Populärkultur ein essentielles Handlungsfeld der Moderne ist, dessen Analyse mehr Aufschluss über die Gesellschaft gibt, als die Analyse von Hochkultur und mündlicher Tradition.

Serielles Erzählen ist keine Erzählform, die im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen steht. Schon die Geschichten aus 1001 Nacht, Epen oder das ritualisierte Vorlesen einzelner Kapitel einer Geschichte zum Einschlafen sind seriell. Etwa seit den 1860er Jahren werden in Printmedien serielle Erzählungen abgedruckt.
Beim seriellen Erzählen gibt es eine starke gegenseitige Beeinflussung von Produktion und Konsumption. Einerseits beeinflusst die Erzählung das Alltagsverhalten der Konsumenten, indem zum Beispiel sehnsüchtig auf den Erscheinungstermin des nächsten Teils gewartet wird, andererseits führt das Beharren der Konsumenten auf das Einhalten von Erscheinungsterminen auch zu veränderten Produktionsbedingungen. Hinzu kommt, dass die regelmäßigen Aufträge eine finanzielle Absicherung für Autoren darstellen.

Frank Kelleter stellt verschiedene Thesen zur Serialität als Erzählprinzip auf:

  • Befriedigung der Nicht-Abgeschlossenheit, weil durch das aufgeschobene Ende ein Versprechen auf Fortsetzung besteht
  • Negatives Figurendoppel, denn was wäre der Held ohne einen Gegenspieler?
  • Serialität verändert im 20. Jahrhundert kulturelle Sphären signifikant
  • Figurenkonstanz und Schematisierung der Produktion
  • arbeitsteilige Produktion der Erzählung
  • hohe Marktabhängigkeit
  • starke Intermedialität und Setzen auf Wiedererkennungseffekte (bspw. Schauspieler, die aus anderen Serien erkannt werden)

Zwei Links zu Forschungsprojekten, die sich mit populärer Serialität beschäftigen:
Sonderforschungsbereich 240 (1985-2000) „Ästhestik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien“

DFG Forschergruppe 1091 (2010-). „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“

I’m not a Series Junkie: Black Books

Dass ich ausgerechnet in Weimar beim Goethe-Sommerkurs Tipps für tolle englische Serien bekommen würde, musste schon allein passieren, damit das jetzt  hier so hinschreiben kann. Immerhin geht es in Black Books auch um Bücher und Literatur – zumindest irgendwie im Hintergrund. Hauptzutaten sind allerdings böser schwarzer Humor und eine ziemlich gute Besetzung, die quer durch die britische Comedy-Szene gecastet wurde.

Heut habe ich damit begonnen die erste und zweite Staffel zu gucken und in manchen Episoden habe ich Tränen gelacht. Und sehr bedauert, dass ich die Serie jetzt erst zum ersten Mal sehe und nicht bereits in das Repertoire der Serien aufgenommen habe, die ich immer und immer wieder gucke. Denn ich habe den  Verdacht, dass dies eine der Serien sein könnte, die durch mehrmaliges Gucken nicht langweiliger sondern besser werden.

Bernard Black (Dylan Moran) ist ein vertrottelter Buchhändler, der lieber raucht und säuft als Bücher verkauft und generell am liebsten einfach den ganzen Tag seine Ruhe hätte. Seine Kunden stören ihn dabei sowieso nur, weshalb sie also freundlich behandeln. Mehr durch Zufall und Trägheit gerät er an Manny Bianco (Bill Baily), den er eigentlich als Buchhalter einstellt. Spätestens nach der zweiten Folge ist allerdings klar, dass dies auch nicht zu mehr Struktur und Ordnung im Laden führt, sondern dass sich das Chaos nur vervielfacht. Denn Manny ist ebenso verschroben und sozial-inkompatibel wie Bernard. Die dritte im Bunde ist Fran Katzenjammer (Tamsin Greig), die den Nippesladen nebenan führt. Auch sie schlägt sich ununterbrochen mit allerlei Problemen auf der zwischenmenschlichen Ebene herum. Dass die Freundschaft der drei vornehmlich auf gegenseitigem Sadismus besteht, macht dabei den besonderen Reiz der Serie aus.

Für eine wundervolle Parodie auf die Konflikte zwischen pubertierenden Kindern und ihren Eltern empfehle ich Folge 6 der ersten Staffel.

I’m not a Series Junkie: The Palace

Immer wenn ich besonders frustriert bin (die Uni allgemein, der Vortrag nächste Woche im besonderen, das unfertige Kleid, an dem ich heute phänomenal gescheitert bin, das schwüle Wetter, verschlafen, und überhaupt!), stöbere ich gerne durch youtube, um hinterher wieder eine nette britische Miniserie gefunden zu haben, die mich ablenkt und auf bessere Gedanken bringt. Die übliche Vorgehensweise ist dabei, einfach nach was zu suchen, das ich schon kenne und mich von dort aus auf vielversprechende Videos weiter zu klicken.

Auf diese Weise bin ich gestern auf The Palace gestoßen. Die Serie ist ein bisschen wie Downton Abbey oder Upstairs, Downstairs, nur dass sie gleich von der fiktiven britischen Königsfamilie handelt. Rupert Evans spielt den nach dem überraschenden Tod seines Vaters zum König aufgestiegenen Richard IV. Und die Serie begleitet ihn durch die Intriegen und Probleme, die den Beginn seiner Regierungszeit markieren.

Die Serie zählt definitiv zu denen, die ich vor allem wegen der schönen Bilder gucke: Der coole Palast mit seinen elegant ausgestatteten, prunkvollen, bequemen Räumen, die schönen Kleider. Männer in gut geschnittenen, gut sitzenden Anzügen. Und Rupert Evans mit lässiger Haltung und schiefem Grinsen. Hach.

Den Ausgleich hat die Handlung auch durchaus nötig: Denn für meinen Geschmack ist sie zu schnell, enthält zu viele Twists und zu viele seltsame Frauenfiguren. Da wären: Eine durchtriebene ältere Schwester, die selbst gerne Königin wäre, eine Mutter, die mit dem Statusverlust nicht umgehen kann, eine Geliebte, die zum feindlichen Lager gehört, eine Assistentin, die sich natürlich in Richard verliebt, eine jüngere Schwester, die quasi nicht vorkommt. Dass all diese Frauen mal miteinander reden ist sowieso nicht vorgesehen. Ansonsten ist die Handlung aber nicht unspannend, die meisten der vielen Figuren (ob Dienstbote, Persönliche Assistenz oder Königsfamilie) entwickeln sich im Laufe der acht Folgen durchaus im Positiven. Gute Unterhaltung durchaus für frustrierte Freitagabende.

Filmtipp: Parade’s End – Der letzte Gentleman

Beim Blättern durch das Arte+7 Programm bin ich über die BBC Mini-Serie “Parade’s End – Der letzte Gentleman” gestolpert.

Für alle, die englische Serien, Benedict Cumberbatch und historische Dramen mögen ein ganz wunderbarer Filmtipp (läuft noch bis Freitag den 14.06.)

Und jetzt muss ich leider weiter fernsehen.

Ach so: Bechdel Test bislang knapp bestanden.