Category Archives: Literatur

Federkiel statt Kochlöffel

Geschichte? – Langweilig! Biographien? – Langweilig! Historische Frauenbiographien? – Doppelt langweilig? Denn welche Faszination sollte das Leben gerade von Frauen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert schon haben? Die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern scheint immerhin klar zu sein: Während jene sich um Beruf, Politik und Philosophie kümmern und Weltgeschichte schreiben, sind diese für Kinder, Haushalt und Familie zuständig und tauchen in der Weltgeschichte kaum einmal am Rande auf.

Therese Huber am Schreibtisch

Die These der »getrennten Spähren« scheint sich noch zu bestätigen, wenn man einen Blick in die meisten theoretischen Schriften der Zeit wirft. Angefangen bei Rousseau wird den Frauen das Private und Natürliche, den Männern dagegen das Öffentliche und Kultivierte zugeschrieben.

Emanzipation um 1800

Diese Zuschreibungen sind sicherlich vor allem auf das entstehende Bürgertum beschränkt. Denn für Adel und Unterschichten galten schon immer andere Regeln als für das Bürgertum. Doch gibt es die »getrennten Sphären« auch im Bürgertum wirklich uneingeschränkt? Der genaue Blick auf einzelne Frauen führt zum Schluss, dass um 1800 die ersten emanzipierten Frauen leben. Sie bilden keine Frauenbewegung, aber jede für sich erkämpfen sie sich Freiräume und Rechte, die später auch von der Frauenbewegung für alle Frauen gefordert werden. Sie haben kein gemeinsames Programm, aber doch das gleiche Ziel: All diese Frauen sind inspiriert von Aufklärung und Französischer Revolution. Sie wollen die Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit auch für sich selbst, als Frauen, stellen dürfen.

Frauenbildung

Von Lateinschule und Universität ausgeschlossen ist es für die Frauen der Zeit schwer, Bildung zu erlangen. Allein durch Lesen eignen sich die Frauen des gebildeten Bürgertums jedoch ungeheueres Wissen an. Sie sind eloquent, kultiviert und an Gesellschaft und Politik interessiert. In Salons und durch europaweite Korrespondenzen verschaffen sie sich Freiräume, in denen sie zu Wort kommen können und ihre Position vertreten. Auch von den Eltern bestimmte Konvenienzehen stellen für diese Frauen keine Option mehr dar: Die Scheidungsrate unter ihnen ist enorm hoch.

Zwang zum Schreiben?

Mit dieser selbst gewählten Freiheit entsteht für eine Reihe der Frauen jedoch auch die Not, dass sie – zumindest teilweise – zu ihrem eigenen Lebensunterhalt beitragen müssen. Für bürgerliche Frauen der Zeit ist dies eigentlich unmöglich, gibt es doch keinen einzigen Beruf der ihnen offen steht. Der einzige schickliche Ausweg ist da häufig die Schriftstellerei. Diese findet hinter verschlossenen Türen statt und Bücher können zudem unter schützendem Pseudonym – häufig einem Männernamen – veröffentlicht werden. Zur Schriftstellerin taugen die meisten dieser Frauen auch tatsächlich.

Zwar haben sie anders als die gebildeten Männer ihrer Zeit keine systematische Ausbildung erhalten, aber dennoch brillieren sie im neuen literarischen Genre, dem Roman. Die von ihnen verfassten Romane werden zum Teil so populär, dass eine Reihe der Frauen von den eigenen Einkünften leben kann. Dieser Erfolg bleibt sogar den meisten Männern der Zeit versperrt, gibt es doch noch keine Verträge, die das Einkommen von Schriftstellern regeln. Gleichzeitig ist das Schreiben für diese Frauen jedoch nicht nur äußerer Zwang. Für viele der Schriftstellerinnen ist es ein inneres Bedürfnis zu schreiben und stellt oft die einzige Möglichkeit dar, eigene Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Und das Faszinierende?

Durch geschicktes Ausnutzen der Freiräume, die ihnen zur Verfügung stehen und das gezielte Übertreten von Grenzen, die ihnen zu eng gesetzt sind, schaffen es bildungsbürgerliche Frauen um 1800 völlig neue Wege zu gehen. Sie lassen sich scheiden, ergreifen einen Beruf und verdienen damit Geld, das sie von Männern unabhängig werden lässt. In einer Zeit, in der das genaue Gegenteil zu vermuten wäre, gibt es eine große Zahl unkonventioneller, frei denkender Frauen, die ihr Leben nicht von anderen einschränken lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf: litlog

Rezensiert: Die Tänzerin im Schnee

Eine Ballerina verkauft ihren gesamten Schmuck. Passiert Spannend wird es jedoch, wenn die Ballerina, wie Nina Rewskaja, aus der UdSSR geflohen ist und dabei ihren Schmuck mit geschmuggelt hat.

Denn hinter dieser Flucht verbirgt sich natürlich eine Geschichte, die erzählt werden muss. Denn als Nina aus der Sowjet Union flieht, lässt sie nicht nur ihre erfolgreiche Karriere, sondern auch ihre große Liebe und ihre beste Freundin zurück. In vielen Rückblicken erinnert sich Nina langsam an die verdrängt Vergangenheit.

Geschickt ist im Roman die Geschichte Ninas mit der des Professors für Russische Sprache Grigori Solodins, der glaubt mit ihr verwandt zu sein. Immerhin befindet sich Schmuck in seinem Besitz, der perfekt zu einem Schmuckstück Ninas passt. Hinzu kommt die Auktionärin Drew Brooks, deren Vergangenheit sich ebenfalls mit der Geschichte vermischt. Während zwar Ninas Erinnerungen den meisten Raum im Roman einnehmen, sind die handelnden Personen doch Solodin und Brooks. Diese versuchen herauszufinden, wie Solodins Herkunft mit Ninas Vergangenheit verbunden ist.

Neben der langsamen Auflösung des Rätsels um Solodins Herkunft, ist der Roman vor allem so spannend, weil Ninas Geschichte ein Gespür dafür vermittelt, wie schwierig es ist in einem Land zu leben, in dem jede Äußerung überwacht wird. Als sie und ihre Freunde, allesamt Künstler, einmal in Verdacht geraten sind, weiß Nina bald vor lauter Verheimlichungen überhaupt nicht mehr, wem sie noch Glauben und Vertrauen soll. Daraus entsteht schließlich der Konflikt, der zu Ninas Flucht führt.

Daphne Kalotay Die Tänzerin im Schnee. Übersetzt von Carina Tessari, Gesine Schörder und Yasemin Dinçer. Hardcover 19,95€, Taschenbuch 9,99€, Kindle 7,99€.

Rezensiert: Mathilde und der Duft der Bücher

Mathilde und der Duft der Bücher – ein Titel der mich als Lesesüchtige, die auf das Reizwort Bücher gepolt ist, natürlich sofort interessiert. Dass die Hauptfigur Buchbinderin ist, macht die Sache nur noch besser. Erschien mir doch der Beruf des Buchbinders, seitdem ich Cornelia Funkes “Tintenherz” gelesen hatte, als der traumhafteste überhaupt. Dazu mag ich Geschichten, in denen “Geheimnise aus der Vergangenheit” aufgearbeitet werden müssen, sehr gerne. So sind diese normalerweise doch spannend und lehrreich zu gleich. Schließlich wird in solchen Geschichten normalerweise mit einer zweiten Erzählebene eine historische Epoche geschildert.

Eine weibliche Heldin mit interessantem Beruf, ein spannendes Thema, alles schien perfekt.

Und der Roman liest sich auch wunderbar flüssig. Die eingearbeiteten Zitate aus Edmond Rostands “Cyrano de Bergerac” sind sehr stimmig. Ich tendiere zwar häufig dazu eingeschobene Stellen zu überfligen oder gar zu überlesen, aber hier habe ich sie alle mitgelesen.

Die Geschichte beginnt mit der Eröffnung von Mathildes neuer Buchbinderwerkstatt in einem kleinen französischen Dorf. Durch Zufall findet Mathilde eine rätselhafte Liste mit Namen, in einem Buch, das ihr zum Restaurieren überlassen wurde. Für den Leser wird zwar schnell deutlich, worum es sich dabei handelt und wie Mathildes Probleme mit dieser Liste zusammenhängen, aber das ist noch nicht so schlimm. Schließlich wäre ja auch interessant zu erfahren, auf welche Art und Weise Mathilde mit Hilfe ihrer Freunde zur Lösung des Problems kommt. Doch hier liegt der Haken des Romans: Mathilde trägt zunächst zwar zur Lösung bei, doch die entscheidenden Schritte geschehen ohne sie und kommen im Roman, der schließlich aus Mathildes Sicht erzählt wird, noch nicht einmal vor. Die Lösung des Rätsels wird nacherzählt! Ich war wirklich, wirklich enttäuscht, als die Seiten immer weniger wurden und der Rätselfortschritt nicht größer wurde.

Diese Erzählstrategie wirkte auf mich, als hätte der Roman eine gewissen Seitenzahl partout nicht überschreiten dürfen, oder als wäre der Autorin gar die Lust am Erzählen ausgegangen.Es ist sehr schade, dass der ansonsten spannende und gut zu lesende Roman dadurch eigentlich den Kernpunkt der Geschichte verliert.

Anne Delaflottes Mathile und der Duft der Bücher wurde von Christian Kolb aus dem Französischen übersetzt. Auf deutsch erschien der Roman bei Kindler. Er kostet als Hardcover 17,95€ und als Taschenbuch 8,99€.

Rezensiert: Corpus Delicti

Als ich ich Juli Zehs Buch in zuerst Händen hielt, war ich zunächst äußerst skeptisch. Immerhin handelt es sich dabei um ein Buch das “Corpus Delicti” heißt und noch dazu den kafkaesken Untertitel “Ein Prozess” trägt. Und mit Kafkas “Prozess” konnte ich noch nie viel anfangen – für meinen Geschmack viel zu bedrückend.
Doch dann habe ich doch noch die ersten Sätze gelesen – und war sofort gefesselt. Durch verschiedene, schnörkellose Sprachstile zieht Zeh den Leser sofort in den Bann: Das Buch beginnt mit einem “Vorwort”, in dem gleich der erste Satz das Konzept des neuen Staates definiert:

Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens – und nicht bloße Abwesenheit von Krankheit.

Die Dystopie eines Staates, der dem Gesundheitswahn verfallen ist und Gesundheit zur neuen Religion erhebt, fesselt. Nicht mehr der Glauben an einen Gott oder die Unterwerfung unter einen Markt bestimmen das Leben und deshalb halten sich die Menschen für frei. Doch aus der Fürsorge um die Gesundheit wächst ein neuer totalitärer Überwachungsstaat. Dieser ist fehlerlos, schließlich hat er nur das Beste für die Bevölkerung im Sinne. Und die Bevölkerung wird überwacht, damit niemand die Gesundheit der anderen gefährdet.

Und während der Leser erkennt, dass auch Gesundheit und Fitness zum neuen Glaubenssystem werden können, halten die meisten Figuren ihre Welt für ideal und ideologielos.

Mia Holl, die Hauptfigur, war lange genug selbst systemtreu. Als jedoch ihr Bruder – wie sie zu wissen glaubt – unschuldig verurteilt wird, beginnt für Mia eine Spirale aus Trauer und kritischem Nachdenken, die sie zum Widerstand gegen das System bringt. Und je mehr Mia versucht Unrecht aufzuzeigen und das System zu kritisieren, umso stärker wird deutlich, dass dieses scheinbar demokratische System ein Überwachungsstaat ist, der vor keinerlei Methoden zurückschreckt. Mia soll gefügig gemacht werden und dazu ist jedes Mittel recht.

Doch Mia lässt sich nicht so einfach brechen – und als Leser hofft man dass sie schließlich doch dem System entkommen wird.

 

Juli Zeh Corpus Delicti. Ein Prozess erschien bei Schöffling & Co. und kostet gebunden 19,90€, als Taschenbuch 9,95€.

Was machen eigentlich Literaturwissenschaftler?

Wer Literatur nicht einfach nur genießen und lesen möchte, sondern sie sich auch gerne über die Oberfläche hinaus erschließen, dem stehen verschiedene Wege dazu offen. Neben der klassischen literaturwissenschaftlichen Analyse nach Form und Inhalt gibt es auch die Möglichkeit zu überlegen, ob im Text bestimmte Themen besonders wichtig sind. Die Theorie ist, dass es in allen Gesellschaften “Kulturthemen” gibt, die sich auch in ihren jeweiligen Ltiteraturen wiederspiegeln. Solche Themen sind zu Beispiel: Geburt und Tod, Gewalt, aber auch alltäglicher erscheinende Dinge, wie Arbeit und Familienleben. Sehr viele solcher Themen sind vorstellbar. Findet man eines dieser Themen nun immer und immer wieder in der Literatur, so kann man davon ausgehen, dass es besonders präsent und wichtig für eine Gesellschaft ist. Die unterschiedliche Verarbeitung in der Literatur lässt dann auch Rückschlüsse auf die Situation der Gesellschaft an sich zu.

Ein Beispiel: Das Kulturthema “Arbeit”

Kathrin Röggla: Wir schlafen nicht

Im Buch kommen sieben verschiedene Personen zu Wort, die alle für eine bestimmte Firma auf einer Messe sind. Scheinbar in Interviews erzählen sie von bestimmten Aspekten des Stresses bei ihrer Arbeit. Businessslang bestimmt die hektischen, sich ständig wiederholenden Äußerungen. Durch konsequente Kleinschreibung und die phrasenhaften Wiederholungen macht das Buch die gestresste Atmosphäre, in der die Protagonisten leben deutlich.

Die völlig verrückte und unnatürliche Situation erinnert übrigens stark an Martin Suters Business Class.

Annette Pehnt: Mobbing

Der Mann der Erzählerin ist bei der Stadt angestellt. Eine typische Kleinfamilie der deutschen Mittelschicht. Doch mit der neuen Chefin ändert sich alles: Der Mann hat das Gefühl in der Arbeit gemobbt zu werden. Da jedoch seine Frau die Erzählerin ist, wissen wir schnell nicht mehr, was Wahrheit und was nur Angst ist. Die doppelte Vermittlung der Ereignisse lässt jede “Wahrheit” undurchschaubar werden. Die beiden Erwachsenen befinden sich in einer Spirale aus Angst vor Arbeitsverlust und Harz4 und gegenseitigem Misstrauen. Alle Lösungsversuche scheitern, so dass sogar die Kommunikation miteinander immer unmöglicher wird. Auch hier ist der große Vorteil des Buches, dass die Sprachlosigkeit, Angst und der zunehmende Verlust des Partners nachvollziehbar wird. Am Ende angekommen, ist man sehr froh wieder in einer weniger bedrückenden Realität angekommen zu sein.

Karen Duve: Taxi

Taxi ist der längste und konventionellste der hier vorgestellten Texte. Die Ich-Erzählerin Alex weiß nach dem Abitur nichts mit sich anzufangen und beschließt auf eine Annonce hin Taxifahrerin zu werden. Zunächst ist der neue Job ein großes Abendteuer: sie fährt nachts und erlebt eine unendliche Zahl  verrückter Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Doch schließlich wird Alex von der quälenden Unentschlossenheit, die sie schon zum Taxi fahren gebracht hat, eingeholt. Die Kollegen zitieren frauenfeindliche Philosophen und drängen sie so in die Position der unterlegenen Kollegin. Alex wird von einer schrecklichen Müdigkeit ergriffen, die sie am aufstehen und Arbeiten hindert. Letztendlich wird das Taxifahren für Alex genauso zum Gefängnis, wie sie es von einem Schreibtischjob befürchtet hat.

Das Thema Arbeit in den Texten

Die drei Texte setzen sich auf völlig unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Arbeit auseinander: Die Hektik einer Messe, die Angst vor dem Verlust der Arbeit, der scheiternde Versuch aus dem vorgeschriebenen Lebenslauf auszubrechen. Doch genau damit spiegeln die Texte eine wichtige Thematik in der deutsche Gesellschaft wider: Wir erleben eine zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Beruf. Immer mehr Menschen arbeiten von Zuhause und auch noch nach “Feierabend”. Die Harz4-Gesetzgebung hat die Angst vor dem Abrutschen in die Arbeitslosigkeit verstärkt und das Problem von Arbeitslosigkeit nicht gelöst. Auch die Frage nach “Erfüllung” durch den Beruf steht immer noch im Raum. Immer mehr Menschen arbeiten in kreativen Berufen, die von traditionellen Erwerbsbiographien (lebenslanges Arbeiten für einen Betrieb) weit entfernt sind. Gleichzeitig erleben sie, dass die versprochene Selbstverwirklichung auch durch diese Berufe nicht immer möglich ist.

Die Besonderheit der Verarbeitung solcher Themen in der Literatur ist, dass das Geschilderte nachfühlbar wird. Anders als Zeitungsberichte – in denen die Themen naturgegeben auch auftauchen – kann Literatur auf einer direkten emotionalen Basis vermitteln. Beim Lesen sind wir gewissermaßen für eine kurze Zeit die Personen, von denen die Geschichten handeln. Wir können in Rollen schlüpfen, die wir im realen Leben nie einnehmen könnten oder wollten. Und auch wenn die Erlebnisse, die wir in diesen Rollen machen nicht real sind: Sie hinterlassen ihre Spuren, sind Erkenntnisgewinn und Bereicherung und somit durchaus echt. Sie fördern das Verständnis für diejenigen, die unter Umständen solche Erfahrungen tatsächlich machen müssen. Denn: wir haben die Situation ja schon einmal selbst “erlebt”.

Rezensiert: The Last Dragonslayer

Als eingefleischter Harry Potter Fan empfand ich eine gewisse Skepsis, ob mir ein Buch gefallen könnte in dem es erneut um Zauberer und Magie geht. Lautet die Beschreibung von The Last Dragonslayer doch:

In the good old days, magic was powerful, unregulated by government, and even the largest spell could be woven without filling in magic release form B1-7g.
Then the magic started fading away. Powerful wizards who once controlled the weather now did home improvements, plumbing and wiring, drain unblocking and mole charming.

Aber zum Glück geht es im Buch ja um etwas ganz anderes als in Harry Potter! Laut einer Prophezeiung ist die Zeit gekommen, in der der letzte lebende Drache getötet werden muss. Zum Glück ist die Protagonistin(!) völlig anders: Was die 17-jährige Jennifer Strange mit dem Drachen zu tun haben soll, ist ihr selbst nicht recht klar. Aber selbstsicher, gut in Organisation und alle Selbstzweifel geschickt überspielend, findet sie eine Weg mit ihrer Rolle als Dragentöterin umzugehen. Sie entkommt der paparazzihaften Presse und den Erpressungsversuchen des Königs und tut am Ende das, was sie für angemessen hält und auch dem Leser als die einzig richtige Lösung erscheint. Zum Glück geht es um etwas völlig anderes: Magie existiert nur eben so gerade noch, Zauberer scheinen auszusterben, ein Drache ist – scheinbar – der Hauptfeind.

Natürlich gibt es Paralellen zu Harry Potter: eine Prophezeiung, eine elternlose Protagonistin, den bösen Zauberer…
Aber indem The Last Dragonslayer in einer anderen, viel bunteren, moderneren und verrückteren Wirklichkeit spielt als Harry Potter, vergisst man alle Ähnlichkeiten.

Großartig! Lesen! Sofort auf Englisch, denn auch im Original ließ es sich leicht und verständlich, oder irgendwann in diesem Jahr auf Deutsch in der Übersetzung von Isabel Bogdan

The Last Dragonslayer von Jasper Fforde erschien als Taschenbuch 2011 bei Hodder & Stoughton und kostet als Taschenbuch 6,99€.
Jasper Fforde hat auf seiner Homepage eine eigene Seite für die Drachentöter-Serie.

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Rezensiert: Mrs Fry’s Diary

Mrs Fry’s Diary ist das Tagebuch, der lange verschwiegenen Frau von Stephen Fry, sagt zumindest diese selbst. Die Autorin klärt ihre Publikum darüber auf, dass Mr. Fry eigentlich gar nicht der coole, intelligente, engagierte Medienmensch ist, als der er sich selbst im Internet darstellt. Stattdessen verbringe er seine Zeit damit, in Karaokebars zu viel Bier zu trinken und sich dann peinlich zu benehmen. Einen guten Eindruck über den Inhalt ihres Buches vermittelt auch Mrs. Frys Twitterstream:

Aber Mrs. Fry enthüllt nicht nur Stephens schlechtes Benehmen: Auch die “five, six or possibly seven children” werden thematisiert. Dabei ist natürlich nur wichtig, wie gut sie selbst in deren Erziehung ist:

 

Bereits die digitale Leseprobe brachte mich so zum Kichern, dass das halbe Zugabteil mitleiden musste. Die Anschaffung des Buches stand für mich also außer Zweifel! Auch das Buch habe ich dann, vor mich hin kichernd, in einem Zug durchgelesen und war leider viel zu schnell damit fertig.

Auf Englisch erschienen bei Hodder kostet das Buch 8,80€.

Demnächst erscheint übrigens auch, das lang herbeigesehnte Standardwerk für Bräute von Mrs. Fry: How to have an almost perfect Marriage.

 

Rezensiert: Flavia de Luce Krimis

Nachdem ich seit langer Zeit keine Krimis mehr gelesen habe – meine Krimihochphase lag eindeutig in meiner Mittelstufenzeit – wurde ich von einer Freundin auf Alan Bradleys Flavia de Luce Krimis aufmerksam gemacht. Den erste Band habe ich dabei noch auf Deutsch gelesen. An einem trüben Herbstnachmittag musste ich das Buch in einem Rutsch durchlesen, sonst hätte ich die Spannung auf keinen Fall ausgehalten. Vom ersten Band angefixt, was das Bedürfnis hoch auch die beiden Folgebände zu lesen. Diese sollten aber unbedingt auf englisch sein, denn die Fehlübersetzung des Titels The sweetness at the bottom of the pie  (deutsch: Mord im Gurkenbeet), versprach viel mehr Wortwitz und Sprachgenuss im Original. Nachdem ich in einer Bahnhofsbuchhandlung zunächst den dritten Band erstehen konnte und ihn sofort im Anschluss an den ersten verschlang, ging mir die 13-jährige Hauptfigur Flavia de Luce allerdings ein klein bisschen auf den Keks. Sich selbst als Chemiegenie verstehend, mit den großen Schwestern im Dauerclinch liegend und sehr selbstbewusst und besserwisserisch, war so viel Flavia auf einmal etwas anstrengend. Nach einem halben Jahr Pause konnte ich dann allerdings endlich auch Band zwei wieder mit Genuss lesen.

Die Krimireihe handelt davon, wie die dreizenjährige Halbwaise Flavia  verschiedene Morde in ihrem kleinen englischen Heimatdorf vorallem durch ihr chemisches Wissen aufklärt. Im Miss-Marple-Stil profitiert Flavia bei ihren Nachfragen, dass sie als neugieriges Kind völlig unauffällig ist und die Menschen ihr Dinge erzählen, die sie sonst nicht sagen würden. So kann sie mit ihren Ermittlungen schneller sein als die lokale Polizei und dem zuständigen Inspektor ordentlich in die Arbeit pfuschen.

Und während zu viel der Bücher auf einmal durchaus anstrengend ist, hoffe ich inzwischen längst wieder auf eine Fortsetzung der Reihe.

Die bisher erschienenen Flavia de Luce-Romane von Alan Bradley heißen:

The Sweetness at the Bottom of the Pie
A Red Herring without Mustard
The Weed That Strings the Hangman’s Bag
Sie sind bei Bantam Books erschienen und kosten etwa 8€.

In deutscher Übersetzung von Katharina Orgaß und Gerald Jung heißen die Romane:
Mord im Gurkenbeet
Halunken, Tod und Teufel
Mord ist kein Kinderspiel

Verspäteter Nachruf für Wisława Szymborska

Am 1. Februar 2012 verstarb die polnische Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska (sprich: Wiswawa Schimborska) in Krakau. Dass sie in Deutschland nicht so bekannt ist, ist sehr schade, da ihre Lyrik (wunderbar übersetzt von Karl Dedecius) unmittelbar ist.

1923 in Bnin bei Posen geboren, zog sie 1931 nach Krakau, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Dort legte sie ihr 1945 ihr Abitur ab, studierte zeitweise Soziologie und polnische Literatur an der dortigen Jagiellonen – Universität, und versuchte sich aber bald als Schriftstellerin. 1945 veröffentlicht sie zum ersten Mal ein Gedicht. Ein erster Gedichtband von ihr wurde abgelehnt, da er der Zensur zum Opfer fiel. Daraufhin verfasste Szymborska systemkonforme Gedichte, im Stil des Sozialistischen Realismus, von denen sie sich später wieder distanzierte.

Erst ab circa 1954 begann sich ihre eigene Lyriksprache mehr herauszubilden. Die Beobachtung des Augenblicks wurde ihre Stärke.

Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Nobelpreis für Literatur 1996.

Unmittelbar, direkt und einfach sind die Adjektive, die für mich persönlich ihre Gedichte kennzeichnen. Sie sind reimlos (sowohl im Polnischen als auch im Deutschen), aber was vor allem beeindruckt, ist die Wortwahl und der Inhalt.

Sie berühren den Leser, auch wenn sie scheinbar nur Alltagssituationen einfangen. Oft haben ihre Gedichte einen leicht melancholischen Ton, und das abstrahieren von Alltag auf Lebensphilosophie geschieht eher beiläufig.

Wer Lust hat ihre Gedichte einmal selbst zu lesen, findet hier eine kleine Bibliographie ihrer erschienen Werke und Sekundärliteratur.

Warum Literaturwissenschaftler keine Kulturwissenschaftler sind

Mit dem Beginn meines Masterstudiums habe ich mein zweites Studienfach gewechselt. Statt Kulturanthropologie und Germanistik studiere ich nun Kulturanthropologie und Komparatistik. In der Kulturanthropologie wurden wir bereits im Bachelorstudium – unter anderem ein einem eigenen Seminar “Kulturtheorie” – ausführlichst mit den Theorien und Methoden der Kulturwissenschaften gedrillt. Darüber hinaus spielen die Theorien zu den behandelten Themenfeldern auch in allen anderen Seminaren eine bedeutende Rolle. Die meisten Seminare beginnen damit, dass in den ersten Sitzungen des Semesters grundlegende Texte zum jeweiligen Thema erarbeitet werden. Auch auf die allgemeineren, in den Kulturtheorien vermittelten, Theorien wird immer wieder Bezug genommen. Ich wage also zu behaupten, dass ich eine gewissen Kompetenz in Kulturtheorien mitbringe.

Und nun studiere ich also Komparatistik.Das Fach wurde in Deutschland erst in den 1950er Jahren institutionalisiert und ist folglich an den Philosophischen Fakultäten noch relativ jung. Darüber hinaus steht es in großer Konkurrenz zu den Einzelphilologien und muss sich beständig abgrenzen und in seiner Existenz rechtfertigen. Als große Vorteile des Faches werden besonders die sprach-, literatur-, medien- und künsteübergreifende Analyse von Literatur hervorgehoben. Dass folglich der “cultural turn” und kulturwissenschaftliche Methoden von großer Bedeutung für die Komparatistik sind, scheint offensichtlich. So wird sowohl in Einführungsveranstaltungen als auch in der  Einführungsliteratur immer wieder betont, wie wichtig die kulturwissenschaftlichen Methoden und Ansätze auch für die Komparatistik sind. Dennoch steht die Komparatistik auch hier vor dem Problem der Abgrenzung. Ebensowenig wie sie reine Literaturwissenschaft sein möchte, möchte sie echte Kulturwissenschaft werden. Zwischen den Fächern schwankend wird drüber gesprochen, wie wichtig neue Ansätze wären, während gleichzeitig weiterhin im Großen und Ganzen die alten Methoden verwendet werden. Wie wenig sich die Komparatisten tatsächlich auf kulturwissenschaftliche Ansätze einlassen, zeigt sich immer wieder daran, dass diese nur in groben Auszügen rezipiert werden. So werden zum einen nicht die am Besten umsetzbaren Methoden sondern die bekanntesten ins Fach geholt. Beispielhaft dafür steht die Zitation der Foucaultschen Diskursanalyse als Methode – die als solche auch gelernten Kulturwissenschaftlern Schwierigkeiten bereitet – statt als Erklärungssystem des Ablaufes von Wissensorganisation. Zum anderen fehlt die gründliche Verortung der Methoden. Kulturwissenschaftliche Ansätze werden nicht auf ihre Ursprünge verfolgt oder gar im – übertrieben formuliert – im Original gelesen. Statt eine Methode zunächst in ihrer eigentlichen Funktion zu verstehen und erst anschließend auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen, werden vielversprechend klingende Ansätze sofort für die Literatur adaptiert. In der Folge scheinen dem Kulturwissenschaftler viele kulturwissenschaftliche Ansätze in der Komparatistik seltsam verdreht. Hinzu kommt natürlich, dass für die Komparatisten, die trotz allem immer noch Literaturwissenschaftler sind, die Literatur  allen und nicht die Literatur im Zusammenhang mit der Kultur im Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht. In der Folge sind viele Fragestellungen, die über die Literatur hinausgehen tabu – und dies trotz der im Fach propagierten Offenheit. Gerade Fragen nach den Aussagen, die Literatur über Kultur und Gesellschaft trifft, werden so ausgeklammert – obwohl gerade sie es sind, die hervorragend mit einer Kombination aus kulturwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Methoden (und dem Ansatz der Diskursanalyse) beantwortet werden könnten.

Literaturwissenschaftler als Kulturwissenschaftler? Ein schöner Traum.