Category Archives: Rezension

La Traviata

Kaffeehaus, Theater, Oper – wir steigern die Opulenz. In die Wiener Staatsoper geht man ja vor allem des Gesamterlebnisses wegen. Das ist in der Staatsoper in Wien mit der richtigen Strategie sogar durchaus erschwinglich. Denn – und ich erzähle hier leider kein echtes Geheimnis – eine Stunde vor Vorstellungsbeginn wird im Opernhaus die Abendkassa mit den Stehplatzkarten geöffnet. Und für “normale” Vorstellungen reicht es locker, kurz davor an der richtigen Kasse anzustehen. Wobei das “die richtige Kasse” deutlich betont werden muss: Sonst irrt man nämlich erst mal durch das halbe Haus und steht dann eine Viertelstunde später am Ende einer langen Schlange. Der zweite Trick ist, nachdem man die Karte erworben hat, auf keinen Fall zu denken, man könne jetzt noch gemütlich einen Kaffee trinken und eine Kleinigkeit verzehren. Denn die Stehplätze sind nicht nummeriert und werden überbucht. Also heißt es los stürmen und Plätze mit Sicht und Schall zu sichern. Denn leider ist die Akkustik im Opernhaus eher durchwachsen. Deshalb hört man zweiten Balkon das Orchester deutlich besser als die Sänger, was doch etwas störend ist.

Hat man diese Ratschläge befolgt, kann man sich die Zeit mit “sehen und gesehen werden” vertreiben. Obwohl das Publikum bei unserem Besuch leider nicht halb so herausgeputzt war, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber nun leben wir ja nunmal nicht mehr in der k.u.k. Monarchie und müssen deshalb auf eine gewisse Portion Opulenz verzichten.

Leider wussten wir nicht, was die perfekte Strategie ist, einen Stehplatz zu ergattern. Deshalb fanden wir uns kurz vor Vorstellungsbeginn mit zu vielen anderen Menschen am Balkon wieder. Von dort konnten wir nur mittelgut hören und dazu auch noch nur die Hälfte der Bühne sehen. Und dazu auch noch die falsche, denn aus irgendwelchen Gründen wurde vor allem auf der für uns nicht einsehbaren Hälfte gespielt. (Liebe DramaturgInnen/RegisseurInnen/etc. bitte bedenkt doch, dass nicht ausschließlich Menschen mit zu viel Geld für zu teure Opernkarten eure Aufführungen sehen wollen. Es wäre doch nett, wenn so gespielt werden würde, dass vom Balkon aus wenigstens hin und wieder etwas von der Handlung erahnt werden kann.)

Dummerweise bin ich damit nun an dem Punkt meines Opernbesuches angelangt, wo mir die Worte fehlen: Wie war die Aufführung von La Traviata? Leider fehlen mir ja sowohl die grönersche Begeisterungsfähigkeit, als auch das nötige analytische Wissen um wirklich etwas zur Musik sagen zu können. Darüber hinaus gehe ich auch quasi nie in die Oper und kann noch nicht mal aus minimalistischem Erfahrungsschatz schöpfen. Die Phrase “Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut” zu verwenden, trifft es dann ja doch nicht so genau. Ich sage also: Ich habe noch nicht so besonders viel Verdi gesehen, fand die Musik aber irgendwie cool. Im Gegensatz zu Wagner kann ich mir durchaus vorstellen Verdi auch so anzuhören.

Die Quintessenz ist also: Geht in die Oper es lohnt sich auf jeden Fall (außer bei modernen Inszenierungen der Zauberflöte *schauder*). Und: ich muss mehr in die Oper gehen!

La Traviata kann man in der Wiener Staatsoper in dieser Spielzeit noch an folgenden Terminen sehen:

  • 08. Mai 2013 | 19.30
  • 11. Mai 2013 | 19.30
  • 14. Mai 2013 | 19.30
  • 17. Mai 2013 | 19.00

Der Menschenfeind

Man verzeihe mir das schlechte Wortspiel: Aber heute gibt es mehr Molière. Denn ich habe die Semesterferien genutzt und war nicht nur in Wien im Theater. Und wie der Zufall so wollte, wurde auch im Nürnberger Schauspielhaus Molière gegeben. Allerdings nicht – was den Vergleich ganz besonders witzig gemacht hätte – Der Geizige. Stattdessen stand Der Menschenfein auf dem Spielzettel.

Früher war ich, dank Schulplatzmiete regelmäßig im Nürnberger Schauspielhaus. Doch wegen Studium und Umzug war dies für mich der erste Besuch im 2010 fertig gestellten “neuen” Schauspielhaus. Und ich muss sagen, der Umbau war dringend nötig und ist gut geworden. Man merkt dem Zuschauerraum deutlich weniger an, dass er früher mal als Kino gedient hat. Die Bühne hat endlich anständige Bühnentechnik. Und vor allem: das Foyer und das Treppenhaus strahlen statt muffigen 70er Jahre Charmes endlich moderne Klarheit aus.

Da Der Menschenfeind nicht als Adaption sondern auf Basis einer Übersetzung gegeben wurde, musste die Inszenierung fehlenden modernen Sprachwitz ausgleichen. Das minimalistische Bühnenbild, das nur aus einem großen Glaskasten im hinteren Bühnenbereich bestand, wurde durch die opulenten Kostüme ausgeglichen. Während Alceste (Thomas Nunner) und sein Freund Philinte (Daniel Scholz) in großartigen Barocken Kostümen stecken, sind die immer mit der Mode gehenden Gegenspieler Acaste (Christian Traubenheim) und Clitandre (Marco Steeger) in poppigen Anzügen und heel less high heels gekleidet. Und während die ersteren beiden auch eher getragen spielen, schaffen es die beiden letzteren durch ihr Auftreten völlig vergessen zu machen, dass sie keinen modernen Text sprechen.

Auch in dieser Molière Inszenierung verwischen die am Anfang gezogenen Grenzen zwischen Alt und Modern. Wenn die Kleidungsstücke fallen und die unbequemen Schuhe von den Füßen fliegen, wird deutlich, dass der Menschenfeind Alceste eine Haltung einnimmt, mit der es auch heute immer noch unmöglich ist, in der Gesellschaft zu bestehen. Es zeigt sich aber auch, dass die entgegengesetzte Haltung der völligen Moderne und des öffentlichen Verspottens aller ebenso unhaltbar ist.

Besonderes Highlight für alle jüngeren Theaterbesucher, war eine Tanzszene zum Ende des Stückes, in der Célimène (Louisa von Spieß) und Eliante (Nicola Lembach) im Gangnam Style tanzen. Zu sehen ist sie zumindest teilweise in diesem youtube-Trailer des Staatstheaters:

Der Menschenfeind kann man am Staatstheater Nürnberg in dieser Spielzeit noch zu folgenden Terminen sehen:

  • Dienstag, 30.04.2013 19:30 Uhr
  • Freitag, 10.05.2013 19:30 Uhr
  • Sonntag, 12.05.2013 19:00 Uhr
  • Samstag, 25.05.2013 19:30 Uhr

 

Rezensiert: Die Schlacht der Nomen

Auf der Suche nach nettem Lesestoff für zwischendurch fiel mir neulich auf, dass ich schon lange nichts mehr von Terry Pratchett gelesen hatte. Dabei lese ich Geschichten mit einem Dreh ins Durchgeknallte  (wie z.B. The Last Dragonslayer) sehr gerne. Beim nächsten Aufenthalt am Bahnhof (meine Lieblingsgelegenheit Bücher zu kaufen) durchstöberte ich deshalb das dortige Fantasy-Regal. Und so gerne ich die Scheibenwelt

als Scheibe auf dem Rücken zweier Elefante, die auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte ruht, die sich langsam durchs Weltall bewegt

auch mag, diesmal habe ich mich gegen DAS Pratchett-Universum entschieden. Das lag vor allem daran, dass mein Bücherbudget viel zu klein ist und ich deswegen Bücher gerne nach dem Prinzip mehr Seiten für den Euro kaufe. Stattdessen habe ich mich also für Die Schlacht der Nomen entschieden. Die Schlacht der Nomen enthält alle drei Nomen-Romane.

Nomen sind ziegelstein-große und ziemlich putzige Wesen. Sie müssen aus ihrer Heimat, einem Kaufhaus, fliehen und sich ein neues Zuhause suchen. Das Problem dabei ist, dass die den Gründer des Kaufhauses für einen Nomen-Gott halten, der das Kaufhaus ausschließlich zu dem Zweck erbaut hat, dass die Nomen darin sicher, glücklich und ohne große Anstrengungen leben können. Und so ist es die große Tragödie der Nomen, dass sie nicht nur ihre Heimat aufgeben müssen, sondern auch ihr Glaube die Grundlage verliert. Dennoch meistern sie mit großem Geschick die Probleme einer Welt, die eigentlich viel zu groß für sie ist. Sie helfen zusammen und schaffen es so, sich das nötige Wissen und die passenden Fähigkeiten anzueignen, die zum Überleben nötig sind. Dabei hilft es, dass Nomen ausgemachte Sturköpfe sind.

Die Schlacht der Nomen ist eine super-spannende Trilogie, die ich an einem Nachmittag in einem Rutsch durchgelesen habe. Denn nachdem ich einmal zu lesen angefangen hatte, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Replay

Benjamin Stein denkt in seinem Roman „Replay“ (2012 im C.H.Beck Verlag erschienen) die nahe Zukunft an – was aus unserer heutigen Gesellschaft mit ein bisschen Technikentwicklung werden kann.

Ed Rosen, Informatiker, entwickelt mit dem Biologen Matana ein Implantat, dass ihn wieder die volle Sehqualität gibt, da eines seiner Augen seit Geburt nicht funktionierte. Mit der Zeit erlaubt dieses Implantat auch die Aufzeichnung aller Gefühle und Bilder, die der Träger sieht. Und auch das wieder abspielen dieser, was natürlich vor allem für sexuelle Erlebnisse interessante Perspektiven eröffnet.

Die eigentliche Frage, die das Buch aufwirft, ist aber eher die der Informationsverwaltung. Bereits jetzt lässt sich über die meisten Menschen mehr im Internet erfahren, als vor 20 Jahren es noch möglich war. Allein in Deutschland gibt es 25 Millionen aktive Facebooknutzer und Google besitzt das Suchmaschinenmonopol und kann durch seine zusätzlichen Dienste leicht Nutzerprofile anlegen. Wie im Buch, steigt auch die Anzahl derer, die einen gewissen Verlust über ihre Daten hinnehmen, da es keine Alternativen zu geben scheint, um ähnlichen Komfort oder Vernetzung zu erreichen.

Wollen wir wirklich, dass persönliche Gespräche und Daten über die Server von wenigen großen Firmen laufen, wo wir nicht wirklich wissen, was sonst noch mit unseren Daten passiert? Wo wir keine Kontrolle über die tatsächliche Verwendung unserer Daten haben? Wollen wir wirklich, dass Fotos oder Aussagen, die temporär vielleicht so richtig waren, für immer irgendwo auf der Welt Datenplatz belegen? Denn selbst wenn man sein Profil bei Facebook löschen kann, selbst wenn man bei jeden Onlineshop einfordern kann, dass die Kundendaten gelöscht werden, man weiß nie, wie viel davon bereits in Datenbanken gewandert ist, und zur Marktbeobachtung genutzt wird.

In „Replay“ lässt sich das Implantat nicht mehr abschalten, wieso auch – die andauernde Kommunikation, Speicherung von Aufenthaltsdaten ist gewollt. Kaum jemand hinterfragt es, wo und wie die Daten gespeichert werden. In dieser Welt der Zukunft lassen sich die meisten Kredite oder Geschäfte nur mehr abschließen, sofern man ein Implantat besitzt – denn wer ein Implantat hat, hat nichts zu verbergen. Die „Anonymen“ hingegen, die keines haben, werden mit der Zeit schon per se verdächtig, schließlich können sie, beispielsweise bei der Verbrechungsaufklärung, nicht nachweisen, wo sie gewesen sind, im Gegensatz zu den Implantatsträgern.

Stein versteht es diese beängstigende Zukunftsvision mit der persönlichen Geschichte von Ed Rosen zu verpacken – geeignet als Lektüre für einen Abend, da die Geschichte auf 176 Seiten Platz findet.

Agota Kristóf: Das große Heft

Der Klappentext klang harmlos, als ich das kleine Buch entdeckte – zwei Jungen, die während dem Zweiten Weltkrieg in ein großes Heft für sie Wichtiges aufschreiben. Der gesetzte Kontext des Krieges ließ mich schon Schreckliches erwarten, aber auf die leise und trotzdem direkte Erzählweise war ich nicht eingestellt.

Die zwei Jungen werden von ihrer Mutter aufs Land zu ihrer Großmutter gebracht, damit sie besser versorgt und sicherer als in der Stadt sind. Die Großmutter will die Zwei gar nicht aufnehmen, schließlich hat sich die Mutter vor dem Krieg auch nicht häufig bei ihr gemeldet.

Die zwei Jungen kapieren schnell, dass man der Großmutter am besten gehorcht und alle geforderten Arbeiten ausführt, wenn man essen will. Neben den täglichen Arbeiten, beginnen sie Übungen zur Abhärtung zu machen – dass heißt, sie schlagen sich gegenseitig bis sie fast bluten. Sie üben blind oder taub zu sein, sie stehlen und bilden sich mit Hilfe des Wörterbuchs ihres Vaters weiter. Und sie kaufen „ein großes Heft“, in dem sie nur die Wahrheit und ganz Wahres aufschreiben. Die Zwillinge werden stets nur von außen beschrieben und bilden eine Einheit – meist kommen sie nur in „Wir-Form“ vor. Das macht ihre Aktionen manchmal noch unverständlicher – es gibt keinen Kommentar über das Innenleben des Einzelnen.

Die Geschichte zieht den Leser einerseits durch die Schreibtechnik in den Bann, andererseits stößt sie auch ab wegen ihrer Brutalität, die ganz frei geschildert wird. Die Sätze sind nackt – es wird nur das Wesentliche erzählt, wie eine schnelle, präzise Skizze; dadurch überliest man manchmal die grausamen Szenen, weil es ohne Pathos und Adjektivkumulationen beschrieben ist. Es ist aber genau dieses Neutrale, Nackte, das eben Faszination und Abscheu zugleich konstituiert. Ich war erstaunt darüber, mit wie wenigen Worten man eine spannende Geschichte schreiben kann.

Agota Kristóf wurde 1935 im ungarischen Csikvánd geboren. Kurz nach dem Aufstand 1956 floh sie mit ihrer Familie in die Schweiz nach Neufchâtel. Ab 1978 schrieb sie erste Texte auf Französisch. Ihr großer Durchbruch war „Das große Heft“, welches mit den Romanen „Der Beweis“ und „Die dritte Lüge“ eine Trilogie bildet. Mehrfach ausgezeichnet für ihre Werke, starb sie 2011 in der Schweiz.

Rezensiert: Léon und Louise

Léon trifft auf seinem Weg zu einem neuen Arbeitsplatz auf Louise und verliebt sich. Louises Gefühlswelt ist weit weniger offensichtlich. Denn Louise ist selbstständig, selbstbewusst und daran interessiert ihre Freiheit nicht zu verlieren.

Doch schließlich kann Léon Louise zu seinen Gunsten umstimmen, die beiden verbringen eine Nacht am Meer und werden durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges getrennt. Léon überlebt eine Explosion nur knapp, glaub Louise für tot und heiratet. Doch dann sieht er Louise zufällig in der Pariser Metro. Léon ist in seiner Ehre gepackt. Schließlich hat er Frau und Kinder, da kann er doch eigentlich nicht nach seiner großen Liebe suchen. Aber, es ist die große Liebe, also sucht er natürlich doch. Und dann wird das Paar erneut getrennt, denn Louise muss während des zweiten Weltkrieges außer Landes.

Erzählt wird im Buch vor allem Léons Lebensgeschichte. Sehr schön wird dabei mit seiner Beerdigung und dem Auftauchen einer fremden alten Dame begonnen. Louises Geschichte wird nur einbezogen, wenn sie sich mit Léons kreuzt – oder sie ihm Briefe aus ihrem Exil schreibt. So bleiben ihre Gefühle für Léon immer etwas unklar. Denn während Louise für Léon der wichtigste Mensch im Leben, seine große Liebe ist. Scheinen für Louise auch viel alltäglichere Dinge einen gleichrangigen Stellenwert in ihrem Leben zu haben.

Das großartige an diesem Roman ist, dass die Figuren so lebensecht dargestellt werden, so überzeugend Macken und Kanten haben. Am Ende war ich immerhin ganz verwirrt, tatsächlich einen Roman und keine Biographie in Händen zu haben!

 

Alex Capus Léon und Louise. Hanser Verlag 2011. Gebunden 19,90€, Taschenbuch 9,90€.

Rezensiert: Lichter setzen über grellem Grund

Wie die Posts der letzen Wochen vielleicht gezeigt haben, beschäftige ich mich sehr gerne mit historischen Frauen. Denn wenn man genau hinsieht, bestätigen sich Vorurteile von eingeschränkten Frauenrollen doch gar nicht. Stattdessen kann man selbstbewusste Frauen entdecken, die wissen was sie wollen und von denen man durchaus noch lernen kann.

Eine solche Frau ist auch die in Renate Feyls Roman Lichter setzen über grellem Grund portraitierte Elisabeth Vigée-Lebrun. Früh von ihrem eigenen Talent überzeugt und darin bestätigt, ist sie im Roman selbstbewusst bis an die Grenze der Arroganz.

Selbstportrait 1800 (von wikimedia)

Elisabeth Vigée-Lebrun war die bedeutendste Portraitistin in Europa um 1800. Sie malte die bekanntesten Personen ihrer Zeit, darunter auch Marie Antoinette. Diese Verbindung zum französischen Königshaus jedoch bedeutete für sie große Gefahr, die ein langes Exil zur Folge hatte.

Renate Feyl beschreibt nun den schwierigen Aufstieg Elisabeths als Künstler. Vom Kampf das Malen wirklich lernen zu dürfen, der Sehnsucht nach der Anerkennung ihrer Kunst durch die Akademie, bis hin zur Reise durch ganz Europa, als sie nicht mehr nach Frankreich zurückkehren kann und stattdessen Europas Fürsten portraitert.

Ihre Kunst verschafft ihr dabei nicht nur Zugang zu allen möglichen Personen, sondern auch großen Reichtum, mit dem sie ihre Familie lebenslang unterstützt.

Der Roman ist gut und spannend geschrieben und liest sich ganz wunderbar. Doch ein kleines Manko bleibt haften: Als tatsächlich existierende Person verschwimmen im biographischen Roman natürlich die Grenzen zwischen echter Lebensgeschichte und Fiktion. Denn natürlich kann man Vigées Gedanken und Empfindungen nicht mehr nachvollziehen braucht sie aber doch, um einen Roman schreiben zu können. In historischen Romanen wird dieses Dilemma üblicher Weise gelöst, indem ein Kapitel zur Recherche und zur tatsächlichen Biographie angehängt wird. Dieses fehlt bei Renate Feyhl leider, was ich sehr schade fand. Denn gerade bei schlechter Quellenlage können fiktionale Elemente Lücken in einer Biographie schließen, die eine schillernde Person, wie Elisabeth Vigée-Lebrun zugänglicher machen. Dennoch wäre die Möglichkeit, solche Elemente richtig einordnen zu können, wünschenswert.

 

Renate Feyhl Lichter setzen über grellem Grund. Kiepenheuer und Witsch 2011. Gebunden 19,99€.

Litlog

Die Germanistik der Uni Göttingen hat ein lobenswertes Projekt ins Leben gerufen: Ein halbwissenschaftliches Blog zu kulturwissenschaftlichen Themen. Denn: kulturwissenschaftliche Themen sind im Internet kaum vertreten. Kulturellen Themen begegnen wir allerdings an allen Ecken und Enden. Da wird es durchaus Zeit, dass sich Wissenschaftler mal an den eigenen Haaren packen und selbst aus dem Sumpf des Nichtgesehenwerdens herausziehen. Immerhin wird in den Geisteswissenschaften jede Menge gesellschaftlich relevanten Wissens produziert.

Litlog ist eines solcher Projekte. Ein Internetfeuilleton, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Literatur:

Litlog ist ein studentisches eMagazin, gegründet am Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August-Universität Göttingen, das sich den praktizierten Dialog zwischen Wissenschaft und Kultur zum Ziel gesetzt hat. Das Spektrum dieses Dialogs reicht von kulturanalytischen Essays über literaturkritische Beiträge und Berichte zum literarischen wie kulturellen Leben, insbesondere in Göttingen, bis hin zu wissenschaftsjournalistischen und genuin wissenschaftlichen Artikeln.

Soweit die Selbstbeschreibung.

Auf dem Blog gibt es die drei Kategorien: Belletristik, literarisches Leben und Wissenschaft.

Das literarische Leben beschränkt sich vor allem auf Göttingen, denn hier ist das Blog schließlich angesiedelt. Allerdings bieten drei Theater, eine Reihe von Kleinbühnen und das literarische Zentrum genügend Veranstaltungsraum.

Die meisten veröffentlichten Artikel sind relativ lang. Was jedoch die geringe Veröffentlichungsdichte (nur zwei Artikel pro Woche) erklärt. Allerdings mangelt es auch immer noch an Autoren, denn außer Ruhm und Ehre, ist mit dem Schreiben für Litlog nichts zu verdienen.

 

Rezensiert: Die Tänzerin im Schnee

Eine Ballerina verkauft ihren gesamten Schmuck. Passiert Spannend wird es jedoch, wenn die Ballerina, wie Nina Rewskaja, aus der UdSSR geflohen ist und dabei ihren Schmuck mit geschmuggelt hat.

Denn hinter dieser Flucht verbirgt sich natürlich eine Geschichte, die erzählt werden muss. Denn als Nina aus der Sowjet Union flieht, lässt sie nicht nur ihre erfolgreiche Karriere, sondern auch ihre große Liebe und ihre beste Freundin zurück. In vielen Rückblicken erinnert sich Nina langsam an die verdrängt Vergangenheit.

Geschickt ist im Roman die Geschichte Ninas mit der des Professors für Russische Sprache Grigori Solodins, der glaubt mit ihr verwandt zu sein. Immerhin befindet sich Schmuck in seinem Besitz, der perfekt zu einem Schmuckstück Ninas passt. Hinzu kommt die Auktionärin Drew Brooks, deren Vergangenheit sich ebenfalls mit der Geschichte vermischt. Während zwar Ninas Erinnerungen den meisten Raum im Roman einnehmen, sind die handelnden Personen doch Solodin und Brooks. Diese versuchen herauszufinden, wie Solodins Herkunft mit Ninas Vergangenheit verbunden ist.

Neben der langsamen Auflösung des Rätsels um Solodins Herkunft, ist der Roman vor allem so spannend, weil Ninas Geschichte ein Gespür dafür vermittelt, wie schwierig es ist in einem Land zu leben, in dem jede Äußerung überwacht wird. Als sie und ihre Freunde, allesamt Künstler, einmal in Verdacht geraten sind, weiß Nina bald vor lauter Verheimlichungen überhaupt nicht mehr, wem sie noch Glauben und Vertrauen soll. Daraus entsteht schließlich der Konflikt, der zu Ninas Flucht führt.

Daphne Kalotay Die Tänzerin im Schnee. Übersetzt von Carina Tessari, Gesine Schörder und Yasemin Dinçer. Hardcover 19,95€, Taschenbuch 9,99€, Kindle 7,99€.

Rezensiert: Mathilde und der Duft der Bücher

Mathilde und der Duft der Bücher – ein Titel der mich als Lesesüchtige, die auf das Reizwort Bücher gepolt ist, natürlich sofort interessiert. Dass die Hauptfigur Buchbinderin ist, macht die Sache nur noch besser. Erschien mir doch der Beruf des Buchbinders, seitdem ich Cornelia Funkes “Tintenherz” gelesen hatte, als der traumhafteste überhaupt. Dazu mag ich Geschichten, in denen “Geheimnise aus der Vergangenheit” aufgearbeitet werden müssen, sehr gerne. So sind diese normalerweise doch spannend und lehrreich zu gleich. Schließlich wird in solchen Geschichten normalerweise mit einer zweiten Erzählebene eine historische Epoche geschildert.

Eine weibliche Heldin mit interessantem Beruf, ein spannendes Thema, alles schien perfekt.

Und der Roman liest sich auch wunderbar flüssig. Die eingearbeiteten Zitate aus Edmond Rostands “Cyrano de Bergerac” sind sehr stimmig. Ich tendiere zwar häufig dazu eingeschobene Stellen zu überfligen oder gar zu überlesen, aber hier habe ich sie alle mitgelesen.

Die Geschichte beginnt mit der Eröffnung von Mathildes neuer Buchbinderwerkstatt in einem kleinen französischen Dorf. Durch Zufall findet Mathilde eine rätselhafte Liste mit Namen, in einem Buch, das ihr zum Restaurieren überlassen wurde. Für den Leser wird zwar schnell deutlich, worum es sich dabei handelt und wie Mathildes Probleme mit dieser Liste zusammenhängen, aber das ist noch nicht so schlimm. Schließlich wäre ja auch interessant zu erfahren, auf welche Art und Weise Mathilde mit Hilfe ihrer Freunde zur Lösung des Problems kommt. Doch hier liegt der Haken des Romans: Mathilde trägt zunächst zwar zur Lösung bei, doch die entscheidenden Schritte geschehen ohne sie und kommen im Roman, der schließlich aus Mathildes Sicht erzählt wird, noch nicht einmal vor. Die Lösung des Rätsels wird nacherzählt! Ich war wirklich, wirklich enttäuscht, als die Seiten immer weniger wurden und der Rätselfortschritt nicht größer wurde.

Diese Erzählstrategie wirkte auf mich, als hätte der Roman eine gewissen Seitenzahl partout nicht überschreiten dürfen, oder als wäre der Autorin gar die Lust am Erzählen ausgegangen.Es ist sehr schade, dass der ansonsten spannende und gut zu lesende Roman dadurch eigentlich den Kernpunkt der Geschichte verliert.

Anne Delaflottes Mathile und der Duft der Bücher wurde von Christian Kolb aus dem Französischen übersetzt. Auf deutsch erschien der Roman bei Kindler. Er kostet als Hardcover 17,95€ und als Taschenbuch 8,99€.