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Rezensiert: Mathilde und der Duft der Bücher

Mathilde und der Duft der Bücher – ein Titel der mich als Lesesüchtige, die auf das Reizwort Bücher gepolt ist, natürlich sofort interessiert. Dass die Hauptfigur Buchbinderin ist, macht die Sache nur noch besser. Erschien mir doch der Beruf des Buchbinders, seitdem ich Cornelia Funkes “Tintenherz” gelesen hatte, als der traumhafteste überhaupt. Dazu mag ich Geschichten, in denen “Geheimnise aus der Vergangenheit” aufgearbeitet werden müssen, sehr gerne. So sind diese normalerweise doch spannend und lehrreich zu gleich. Schließlich wird in solchen Geschichten normalerweise mit einer zweiten Erzählebene eine historische Epoche geschildert.

Eine weibliche Heldin mit interessantem Beruf, ein spannendes Thema, alles schien perfekt.

Und der Roman liest sich auch wunderbar flüssig. Die eingearbeiteten Zitate aus Edmond Rostands “Cyrano de Bergerac” sind sehr stimmig. Ich tendiere zwar häufig dazu eingeschobene Stellen zu überfligen oder gar zu überlesen, aber hier habe ich sie alle mitgelesen.

Die Geschichte beginnt mit der Eröffnung von Mathildes neuer Buchbinderwerkstatt in einem kleinen französischen Dorf. Durch Zufall findet Mathilde eine rätselhafte Liste mit Namen, in einem Buch, das ihr zum Restaurieren überlassen wurde. Für den Leser wird zwar schnell deutlich, worum es sich dabei handelt und wie Mathildes Probleme mit dieser Liste zusammenhängen, aber das ist noch nicht so schlimm. Schließlich wäre ja auch interessant zu erfahren, auf welche Art und Weise Mathilde mit Hilfe ihrer Freunde zur Lösung des Problems kommt. Doch hier liegt der Haken des Romans: Mathilde trägt zunächst zwar zur Lösung bei, doch die entscheidenden Schritte geschehen ohne sie und kommen im Roman, der schließlich aus Mathildes Sicht erzählt wird, noch nicht einmal vor. Die Lösung des Rätsels wird nacherzählt! Ich war wirklich, wirklich enttäuscht, als die Seiten immer weniger wurden und der Rätselfortschritt nicht größer wurde.

Diese Erzählstrategie wirkte auf mich, als hätte der Roman eine gewissen Seitenzahl partout nicht überschreiten dürfen, oder als wäre der Autorin gar die Lust am Erzählen ausgegangen.Es ist sehr schade, dass der ansonsten spannende und gut zu lesende Roman dadurch eigentlich den Kernpunkt der Geschichte verliert.

Anne Delaflottes Mathile und der Duft der Bücher wurde von Christian Kolb aus dem Französischen übersetzt. Auf deutsch erschien der Roman bei Kindler. Er kostet als Hardcover 17,95€ und als Taschenbuch 8,99€.

Rezensiert: Corpus Delicti

Als ich ich Juli Zehs Buch in zuerst Händen hielt, war ich zunächst äußerst skeptisch. Immerhin handelt es sich dabei um ein Buch das “Corpus Delicti” heißt und noch dazu den kafkaesken Untertitel “Ein Prozess” trägt. Und mit Kafkas “Prozess” konnte ich noch nie viel anfangen – für meinen Geschmack viel zu bedrückend.
Doch dann habe ich doch noch die ersten Sätze gelesen – und war sofort gefesselt. Durch verschiedene, schnörkellose Sprachstile zieht Zeh den Leser sofort in den Bann: Das Buch beginnt mit einem “Vorwort”, in dem gleich der erste Satz das Konzept des neuen Staates definiert:

Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens – und nicht bloße Abwesenheit von Krankheit.

Die Dystopie eines Staates, der dem Gesundheitswahn verfallen ist und Gesundheit zur neuen Religion erhebt, fesselt. Nicht mehr der Glauben an einen Gott oder die Unterwerfung unter einen Markt bestimmen das Leben und deshalb halten sich die Menschen für frei. Doch aus der Fürsorge um die Gesundheit wächst ein neuer totalitärer Überwachungsstaat. Dieser ist fehlerlos, schließlich hat er nur das Beste für die Bevölkerung im Sinne. Und die Bevölkerung wird überwacht, damit niemand die Gesundheit der anderen gefährdet.

Und während der Leser erkennt, dass auch Gesundheit und Fitness zum neuen Glaubenssystem werden können, halten die meisten Figuren ihre Welt für ideal und ideologielos.

Mia Holl, die Hauptfigur, war lange genug selbst systemtreu. Als jedoch ihr Bruder – wie sie zu wissen glaubt – unschuldig verurteilt wird, beginnt für Mia eine Spirale aus Trauer und kritischem Nachdenken, die sie zum Widerstand gegen das System bringt. Und je mehr Mia versucht Unrecht aufzuzeigen und das System zu kritisieren, umso stärker wird deutlich, dass dieses scheinbar demokratische System ein Überwachungsstaat ist, der vor keinerlei Methoden zurückschreckt. Mia soll gefügig gemacht werden und dazu ist jedes Mittel recht.

Doch Mia lässt sich nicht so einfach brechen – und als Leser hofft man dass sie schließlich doch dem System entkommen wird.

 

Juli Zeh Corpus Delicti. Ein Prozess erschien bei Schöffling & Co. und kostet gebunden 19,90€, als Taschenbuch 9,95€.