Category Archives: um 1800

Frankfurter Goethe-Haus und Deutsches Romantik-Museum

Wer in Frankfurt ist und Germanistik studiert hat, muss doch ins Goethe-Haus – sagt mein Mann.

Wer in Frankfurt ist und im Job ein Museum für einen Komponisten konzipiert, muss in jedes Haus über nicht-bildende Künstler, die es gibt, um rauszufinden, wie man Musik und Literatur am besten in einer Ausstellung vermittelt – sage ich.

Das Frankfurter Goethe-Haus macht es sich einfach. Vermittelt wird nicht viel, man schlendert durch die beeindruckenden vier Stockwerke des großen Bürgerhauses, in dem Johann Wolfgang Goethe geboren und aufgewachsen ist. Ich musste mich die ganze Zeit fragen, ob wohl die Möbel Originale sind (und wenn nicht, wo sie wohl herkommen) und ob von den Goethes niemand jemals geschlafen hat – Betten finden sich jedenfalls in keinem der vielen Zimmer.

Mehr zu sehen gibt es schon im neueröffneten Deutschen Romantik-Museum. An Geld scheint es den Ausstellungsmacher*innen jedenfalls nicht gefehlt zu haben. Schon das Treppenhaus ist beeindruckend.

Treppenhaus des Deutschen Romantik-Museums: Von unten sieht man über drei Stockwerke SEHR viele Stufen, die mit braun-grauen Steinen gefließt sind. Von den Seiten fällt immer wieder Licht durch Durchgänge ins Treppenhaus. Ganz oben wird es besonders hell – wie durch eine Aura.

Im ersten Stock ist die Gemäldesammlung (oder zumindest ein Teil davon) des Freien Deutschen Hochstifts ausgestellt. Der Fokus liegt auf Kunst, die Goethe in seiner Kindheit und Jugend gekannt hat. Ich war nicht zum Vergnügen da und hatte nicht mehr viel Zeit bis Schließung – also bin ich eher durchgeeilt als mich genauer damit zu befassen.

Im zweiten und dritten Stock dann: Romantik.

[Wenn ich Zeit und Lust hätte, würde ich JETZT herausfinden, wie ich im neuen WordPress die Schriftart verändern kann, hier müsste ja wohl mal was verschnörkeltes stehen. Und wenn ich weiter Zeit und Lust hätte, würde ich rausfinden, wie das Fußnoten-Plugin funktioniert bzw. warum nicht. Aber meine Leser*innen haben ja bestimmt Phantasie.]

Eine der typischen Stationen im Deuschen Romantik-Museum: Ein nachgebautes Stehpult unter dessen Klappe ein Original lichtgeschützt liegt, links ein Schreibtisch-Element mit Schubladen, rechts ein Schreibtisch-Element mit Ausstellungstexten.

Die Ausstellung hangelt sich hauptsächlich entlang der wichtigen Vertreter*innen (ja, Sophie Mereau, Karoline von Günderrode und Bettina von Arnim bekommen Stationen, nein ich werde keinen der Männer namentlich erwähnen. Aber hier habe ich schon mal mehr zu Frauen der Klassik und Romantik geschrieben: Schreiben, um zu leben, Leben und schreiben, Leben, um zu schreiben). Ein weiteres Gliederungselement sind Themen der Romantik (Waldeinsamkeit voll blauer Blumen oder so). Das zentrale Vermittlungselement jeder Station ist ein dreiteiliges Schreibpult, das als lichtreduzierte Vitrine für die Originale dient. Immer wieder gibt es QR-Codes und Hinweise für den Audioguide – beides wegen Zeitmangel nicht ausprobiert. Ich habe nicht gezählt, aber mir waren es definitiv zu viele Stationen, zu viel Text und zu viel Geräuschkulisse. Immer wieder gibt es Soundinstallationen, die eines der Themen verdeutlichen – nicht alle davon werden über Bewegungsmelder ausgelöst.

Warum kommt die spannendste Station eigentlich zu Letzt?

Platten mit Notenskizzen und Bildern für eine Medienstation.
Medienstation zur Komposition eines romantischen Schumann-Liedes.

Die für mich spannendste Station kam ganz oben, ganz hinten im dritten Stock, als ich noch 20 Minuten Zeit hatte – gebraucht hätte ich vermutlich 60. Eine Medienstation vermittelt, wie Schumann ein romantisches Gedicht vertont. Es können 6 oder 7 Platten mit unterschiedlichen Motiven ausgewählt und auf das Pult gelegt werden – dann starte automatisch die Medienstation mit Beamer und Text über die Kopfhörer. Ich habe eine Notenskizze gewählt, aber es gab auch Illustrationen, einen Partiturauszug oder Gedichtbeispiele. (Ich vermute und hoffe, dass man so den Entstehungsprozess von der Gedichtauswahl bis zum fertig gedruckten Notenexemplar nachvollziehen kann.) Die Erzähler*in erklären, was zu sehen ist, bringen Anekdoten, schlüsseln auf wie das Stück entsteht. Es werden Hörbeispiele eingespielt, die die sichtbaren Noten auch hörbar machen und per Lichtpunkten werden die Erläuterungen nachvollziehbar gemacht. Man kann Pausieren, vor- und zurückspringen, zwischendrin sogar ein Erklärmenü öffnen – nur den Lautstärkeregler habe ich nicht gefunden.

Es ist eine der beeindruckendsten Stationen zur Entstehung von Musik, die ich bisher gesehen habe und ich hoffe sehr, dass die Konzeptionist*innen und Gestalter*innen demnächst in Musikermuseen arbeiten.

Öffnungszeiten und Einritt; ich war dank Mitgliedschaft im Museumsbund umsonst in der Ausstellung.

Schreiben, um zu leben

Kinder, Küche, Kirche – dieser Slogan beschreibt, welche Rolle Frauen in der zeitgenössischen Vorstellung um 1800 zugewiesen wird. Doch einige Frauen lassen sich davon nicht beeindrucken! In der Reihe »Faszinosum Autorinnen um 1800« wird der Blick auf Frauenfiguren gelenkt, die versuchen aus den vorgeschriebenen Rollen auszubrechen. Heute: Johanna Schopenhauer, die Gesellige.

Johanna Schopenhauer mit ihrer Tochter Adele

Nach dem Tod ihres Mannes 1805 blieb Johanna Schopenhauer als wohlhabende Frau zurück. Der Hamburger Kaufmann Heinrich Floris Schopenhauer hatte ihr und den beiden Kindern Arthur und Adele jeweils ein Drittel seines Vermögens vermacht. Nun unabhängig suchte Johanna Schopenhauer einen neuen Wirkungsort. Nach einigen Überlegungen fiel ihre Wahl auf Weimar. Die »Musenstadt« war durch die zahlreichen intellektuellen Größen, die dort lebten, attraktiv, obwohl die Stadt nur sehr klein war.

Für ihre Ankunft in Weimar hätte Johanna Schopenhauer eigentlich keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können: Nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft wurde Weimar von französischen Soldaten besetzt und vom Krieg überzogen. Doch Johanna Schopenhauer machte das Beste aus der Situation. Als Ortsfremde unter dem Schutz der französischen Besatzer setze sie ihr Vermögen ein, um der Weimarer Bevölkerung durch Nahrungsmittel und Verbandszeug zu helfen. So erhielt sie schnell Zugang zum intellektuellen Bürgertum der Stadt.

Der »Theetisch«

Diese Aufnahme in die Weimarer Gesellschaft nutzte sie geschickt, um den Plan umzusetzen, mit dem sie nach Weimar gekommen war: Bereits im Herbst 1806, nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft gründete sie ihren Salon. Ihr »Theetisch« wurde schnell zu dem geselligen Zirkel in Weimar. Dabei half besonders, dass sie sich durch die offene und vorurteilsfreie Aufnahme der frisch mit Goethe verheirateten Christiane Vulpius Goethes Dankbarkeit gesichert hatte. Dieser bildete den Mittelpunkt und Anziehungspunkt ihres Salons. Denn während Johanna Schopenhauer zwar die Räume und Möglichkeiten zum Gespräch zur Verfügung stellte, kamen die Besucher doch vor allem, weil sich hier die Gelegenheit bot, Goethe im ungezwungenen Rahmen kennenzulernen.

Reiseberichte

Der gesellige Rahmen in Johanna Schopenhauers Salon diente jedoch nicht nur dem Gespräch, sondern auch dem künstlerischen Leben. Es wurde musiziert, gezeichnet, aber vor allem über Literatur gesprochen. Der Salon bildete die erste Bühne für literarische Versuche. Auch Johanna Schopenhauer wurde in ihrem eigenen Salon zum Schreiben ermutigt. Zur Unterhaltung ihrer Gäste erzählte sie von ihren Reisen mit ihrem verstorbenen Mann. Mit ihm hatte sie Belgien, Italien, England und Schottland bereist. Nun wurde sie von ihren Gästen aufgefordert diese Erlebnisse auch aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Dass sich diese Berichte auch noch erfolgreich verkauften, war ein Glücksfall für Johanna Schopenhauer. Denn 1819 ging das Bankhaus, bei dem sie ihr ganzes Vermögen angelegt hatte Bankrott. Sie verlor einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens und war plötzlich auf andere Einkünfte angewiesen. Sie begann erfolgreich Erzählungen und Romane zu veröffentlichen, um Geld hinzu zu verdienen. Dennoch hatte sie nun erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, musste ihren Salon auflösen und mehrfach in billigere Städte umziehen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf: litlog.

Zur Reihe gehört auch: Federkiel statt Kochlöffel

Federkiel statt Kochlöffel

Geschichte? – Langweilig! Biographien? – Langweilig! Historische Frauenbiographien? – Doppelt langweilig? Denn welche Faszination sollte das Leben gerade von Frauen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert schon haben? Die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern scheint immerhin klar zu sein: Während jene sich um Beruf, Politik und Philosophie kümmern und Weltgeschichte schreiben, sind diese für Kinder, Haushalt und Familie zuständig und tauchen in der Weltgeschichte kaum einmal am Rande auf.

Therese Huber am Schreibtisch

Die These der »getrennten Spähren« scheint sich noch zu bestätigen, wenn man einen Blick in die meisten theoretischen Schriften der Zeit wirft. Angefangen bei Rousseau wird den Frauen das Private und Natürliche, den Männern dagegen das Öffentliche und Kultivierte zugeschrieben.

Emanzipation um 1800

Diese Zuschreibungen sind sicherlich vor allem auf das entstehende Bürgertum beschränkt. Denn für Adel und Unterschichten galten schon immer andere Regeln als für das Bürgertum. Doch gibt es die »getrennten Sphären« auch im Bürgertum wirklich uneingeschränkt? Der genaue Blick auf einzelne Frauen führt zum Schluss, dass um 1800 die ersten emanzipierten Frauen leben. Sie bilden keine Frauenbewegung, aber jede für sich erkämpfen sie sich Freiräume und Rechte, die später auch von der Frauenbewegung für alle Frauen gefordert werden. Sie haben kein gemeinsames Programm, aber doch das gleiche Ziel: All diese Frauen sind inspiriert von Aufklärung und Französischer Revolution. Sie wollen die Forderungen nach Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit auch für sich selbst, als Frauen, stellen dürfen.

Frauenbildung

Von Lateinschule und Universität ausgeschlossen ist es für die Frauen der Zeit schwer, Bildung zu erlangen. Allein durch Lesen eignen sich die Frauen des gebildeten Bürgertums jedoch ungeheueres Wissen an. Sie sind eloquent, kultiviert und an Gesellschaft und Politik interessiert. In Salons und durch europaweite Korrespondenzen verschaffen sie sich Freiräume, in denen sie zu Wort kommen können und ihre Position vertreten. Auch von den Eltern bestimmte Konvenienzehen stellen für diese Frauen keine Option mehr dar: Die Scheidungsrate unter ihnen ist enorm hoch.

Zwang zum Schreiben?

Mit dieser selbst gewählten Freiheit entsteht für eine Reihe der Frauen jedoch auch die Not, dass sie – zumindest teilweise – zu ihrem eigenen Lebensunterhalt beitragen müssen. Für bürgerliche Frauen der Zeit ist dies eigentlich unmöglich, gibt es doch keinen einzigen Beruf der ihnen offen steht. Der einzige schickliche Ausweg ist da häufig die Schriftstellerei. Diese findet hinter verschlossenen Türen statt und Bücher können zudem unter schützendem Pseudonym – häufig einem Männernamen – veröffentlicht werden. Zur Schriftstellerin taugen die meisten dieser Frauen auch tatsächlich.

Zwar haben sie anders als die gebildeten Männer ihrer Zeit keine systematische Ausbildung erhalten, aber dennoch brillieren sie im neuen literarischen Genre, dem Roman. Die von ihnen verfassten Romane werden zum Teil so populär, dass eine Reihe der Frauen von den eigenen Einkünften leben kann. Dieser Erfolg bleibt sogar den meisten Männern der Zeit versperrt, gibt es doch noch keine Verträge, die das Einkommen von Schriftstellern regeln. Gleichzeitig ist das Schreiben für diese Frauen jedoch nicht nur äußerer Zwang. Für viele der Schriftstellerinnen ist es ein inneres Bedürfnis zu schreiben und stellt oft die einzige Möglichkeit dar, eigene Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

Und das Faszinierende?

Durch geschicktes Ausnutzen der Freiräume, die ihnen zur Verfügung stehen und das gezielte Übertreten von Grenzen, die ihnen zu eng gesetzt sind, schaffen es bildungsbürgerliche Frauen um 1800 völlig neue Wege zu gehen. Sie lassen sich scheiden, ergreifen einen Beruf und verdienen damit Geld, das sie von Männern unabhängig werden lässt. In einer Zeit, in der das genaue Gegenteil zu vermuten wäre, gibt es eine große Zahl unkonventioneller, frei denkender Frauen, die ihr Leben nicht von anderen einschränken lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf: litlog

Rezensiert: Über die Moden

Eine der frühesten Auseinandersetzungen mit der Frage, was eigentlich Mode ist, wurde von Christian Garve 1792 verfasst. In seiner Analsye geht es dabei jedoch nicht um Kostümgeschichte: Er zeichnet keinen Verlauf unterschiedlicher Mode- und Kleidungsstile nach. Viel mehr beschäftigt Garve die Frage nach der sozialen Bedeutung von Mode. Er zeigt den Zusammenhang von Kleidung und sozialen Hierarchien auf und wie durch Mode der soziale Status einer Person widergespiegelt wird. Außerdem analysiert er Mode eben nicht nur in Bezug auf Kleidung und andere Gegenstände sondern auch in Bezug auf Verhaltensweisen. Dabei macht er deutlich, dass Kleidung besonders schnell über verschiedene Schichten hinweg verbreitet wird, während die Schichten sich durch Verhaltensweisen deutlich von einander abgrenzen können.

Dazu analysiert er besonders die Mode seiner Zeit und beschreibt deswegen, wie Mode in Monarchien funktioniert. Denn, so Garve, es braucht ein gesellschaftliches Zentrum (wie zum Beispiel einen Königshof), von dem aus Mode sich verbreiten kann. Dennoch enthält sein Essay einige Beobachtungen, die auch in der modernen Soziologie noch relevant sind. So beschreibt er – ohne natürlich die modernen wissenschaftlichen Begriffe zu verwenden – verschiedene Mechanismen im sozialen und kulturellen System.
Sein Aufsatz beginnt so zum Beispiel mit der Feststellung, dass Menschen, die engen sozialen Umgang miteinander pflegen, sich einander ganz unwillkürlich in Aussehen und Verhalten anpassen. Diese Beobachtung findet sich ganz ähnlich im Habituskonzept von Bourdieu wieder.

Darüber hinaus findet sich bei ihm auch die Idee des Gesunkenen Kulturgutes, wie sie von Naumann formuliert wird: Garve beschreibt sehr ausführlich, wie sich eine Mode in Kleidung oder Verhalten von einer Schicht auf die nächste überträgt. Moden entstehen ihm zufolge dort, wo Geld, Zeit und modisches Wissen vorhanden sind: also besonders im Adel. Sie werden dann zunächst vom reichen, dann vom weniger reichen Bürgertum kopiert, bis sie schließlich auch in den unteren Schichten ankommen. Währenddessen haben sich im Adel natürlich längst neue Moden herausgebildet.

Wie modern Garves Analyse ist, zeigt sich jedoch nicht nur, wenn er die Verbreitungsmechanismen von Mode beschreibt. Beim Lesen des Essays ist mir schnell aufgefallen, dass Garve in seiner Analyse nicht in Geschlechterstereotype verfällt. Bis auf die letzten zwanzig Seiten spielt Geschlecht im Essay überhaupt keine Rolle. Beim Lesen wusste ich zunächst gar nicht, ob ich darüber erfreut, erstaunt oder verwirrt sein sollte. Diese Ausgeglichenheit in der Analyse liegt meiner Meinung genau daran, dass Garve Mode nicht ausschließlich als Kleidermode begreift. Indem er auch die veränderlichen Verhaltensweisen von Menschen darunter fasst, wird Mode zum definitiv allgemein menschlichen Phänomen. Erst ganz zum Schluss geht er dann dann doch noch auf die Zusammenhänge von Mode und Geschlecht ein. Er bezieht sich dabei jedoch auf Männer und Frauen. Es geht ihm aber auch dann nicht darum bestimmte stereotype Geschlechterrollen zu reproduzieren – ein für seine Zeit erstaunliches Vorgehen. Stattdessen geht es ihm um die Beschreibung, wie Männer und Frauen mit Mode umgehen und welchen Beschränkungen sie dabei unterliegen.

Christian Garve: Über die Moden. Insel 1972. Leider vergriffen, aber als PDF verfügbar.

Museum: Schillerhaus Weimar

Unsere zweite Exkursion führte uns nach Weimar. Der erste Teil der Miniserien über die Museumsexkursionen findet sich hier.

Um 1800 bildete das Herzogtum Sachsen-Weimar unter der Regentschaft von Herzogin Anna-Amalia einen Raum, in dem sich die intellektuellen Größen der Zeit versammeln konnten. Dies lag unter anderem daran, dass im Herzogtum eine relativ großzügige Zensur gehandhabt wurde, so dass es nicht nur Goethe und später Schiller, sondern auch Herder und Wieland dorthin zogen. Hinzu kam, dass die am geistigen Leben interessierte Herzogin diesen Männern auch Anstellungen an ihrem Hof bieten konnte. In der Folge ist Weimar heute voller Gedenkorte und Museen, die Personen thematisieren, die dort um 1800 gelebt haben.

Schiller selbst lebte nur von Oktober 1799 bis zu seinem Tod 1804 in Weimar und bewohnte dort überdies mehrere Wohnungen. Dass wir ausgerechnet das Schillerhaus besuchten, liegt am Kult der bereits im 19. Jahrhundert um Schiller und dessen Wohnhaus entstand. Im identifikationsbedürftigen 19. Jahrhundert begann, im Zusammenhang mit der Nationalstaatbewegung die Suche nach Identifikationsfiguren. Mit dem vorläufige Scheitern der Nationalbewegung verstärkte sich dieses Bedürfnis nach Figuren der nationalen Identifikation noch. Dass ausgerechnet Schiller zu einer der deutschen Identifikationsfiguren des 19. Jahrhunderts wurde liegt daran, dass er nicht nur als “der deutsche Autor” galt, dessen Texte zur Allgemeinbildung beinahe aller Bevölkerungsgruppen gehörte, sondern auch seine Lebensgeschichte zur “Heilsgeschichte” umgedeutet wurde. Während seine Texte, die nach heutigem Verständnis keineswegs national, sondern garadezu europäisch sind (man betrachte nur einmal die Handlungsorte seiner Dramen), als Ausdruck der nationalen Revolution gedeutet wurden, wurde Schiller selbst zur “Christusgestalt”. Dabei wurde sein künstlerisches Schaffen als “hohe Begabung” mit “heiligem Ernst” gedeutet und seine immer wieder aufkeimende Krankheit mit dem Leiden Christus’ gleichgesetzt. In diesem Zusammenhang entstanden nun nicht nur zahlreiche Schillerdenkmäler, sondern auch das Schillerhaus. Dieses wurde 1847 und damit am Vorabend der Revolution von 1848/49 als nationale Gedenkstätte eingerichtet.

Schillerhaus Weimar (via Wikipedia; Urheber: Andreas Trepte)

Diese ursprüngliche Gestaltung des Schillerhauses als Gedenkstätte und Ort der Schillerverehrung spiegelt sich noch im heutigen Museum. Obwohl der Innenhof mit einem Neubau gestaltet wurde, in dem sich neben Kasse, Museumsshop und sanitären Anlagen auch mehrere Funktions- und Ausstellungsräume befinden, gibt es keine wirkliche Thematisierung Schillers und seines Werkes. Stattdessen ist die Hauptattraktion seine Wohnstätte, in der versucht wurde, die Inneneinrichtun so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen. Dabei gibt es jedoch in den Räumen selbst keine Hinweise darauf, dass es eben dennoch kaum Originaleinrichtungsgegenstände mehr gibt. Gleichzeitig bleiben die Räume seltsam seelenlos. Nur mit viel Phantasie kann der Besucher sich vorstellen, dass überhaupt jemand in ihnen gelebt haben soll.

Da wir ein Führung durch den Dozenten bekommen haben, kann ich zudem leider nicht beurteilen, ob in den Führungen des Museums oder im Audioguide die Einrichtung problematisiert und die Geschichte des Schillerhauses besser erzählt wird. Die Erklärungen, die wir zumindest zum Audioguide bekommen haben, deuten jedoch darauf hin. Für einen Besuch, empfehle ich daher diesen zu benutzen, auch wenn ich selbst keine Erfahrungen mit diesem Audioguide gemacht habe.

Kurze Linkliste:

Die Klassikstiftung zu Schillers Wohnhaus
Die Klassikstiftung zum Schiller-Museum

Sophie Mereau – ein biographischer Abriss

Im Zuge einer Hausarbeit beschäftige ich mich gerade mit Sophie Mereau. 1770 geboren ist ihr Leben für eine Frau ihrer Zeit sehr ungewöhnlich. Da ist zum Einen die Tatsache, dass sie mit zwanzig Jahren ihr erstes Gedicht, eine Hymne auf die Freiheitsbewegung der Französischen Revolution, in Schillers Thalia veröffentlichen kann und Schiller in der Folge immer wieder Gedichte von ihr in seinen Zeitschriften veröffentlicht und sie auch mit Ratschlägen und Verbesserungen bezüglich ihrer literarischen Arbeit unterstützt. Da ist zum Andern ihr Streben nach Freiheit auch für sie als Frau, das von Aufklärung und Französischer Revolution inspiriert ist und das den Vorstellungen der Männer ihrer Zeit über das angemessene Verhalten von Frauen, entgegensteht. So weit es ihr in den engen Grenzen der Zeit möglich ist, versucht sie diese Vorstellungen auch in ihrem eigenen Leben umzusetzen. Ihren späteren Mann Friedrich Carl Mereau hält sie sechs Jahre lang hin und heiratet ihn 1793 schließlich nur, weil der Druck der Familie immer größer wird und sie auf die finanzielle Absicherung angewiesen ist. Zudem verfügt Carl Mereau in Jena über gute Kontakte zu den schriftstellerischen Größen und Verlegern der Zeit. Er vermittelt den ersten Kontakt zu Schiller und sorgt immer wieder dafür, dass die Werke seiner Frau veröffentlicht werden. Sophie Mereau nutzt die Zeit ihrer Ehe, um ihre schriftstellerische Tätigkeit voranzutreiben. Sie selbst vertieft den Kontakt mit Schiller, korrespondiert mit ihm über ihre Arbeit und trifft sich auch immer wieder für persönliche Gespräche darüber. Dabei ist das Verhältnis zwischen Schiller und Mereau nicht ausschließlich das von Schülerin und Lehrer, sondern durchaus kollegial.

Sophie Mereau veröffentlicht Gedichte und Erzählungen in den wichtigen Zeitschriften ihrer Zeit, wird zur Gefragten Mitarbeiterin u.a. in Schillers Horen und übernimmt schließlich selbst die Herausgabe von Zeitschriften (u.a. des Göttinger Musen-Almanachs). Ihr eigenes Zeitschriftenprojekt dagegen kann sie vorläufig noch nicht durchführen.

Die Ehe der Mereaus ist von mangelnder Liebe seitens Sophie belastet, die sich in verschiedene Liebschaften und Affären stürzt, deren Existenz der Jenaer Öffentlichkeit durchaus bekannt sind. Dabei nimmt sie wenig Rücksicht auf  Schicklichkeitsvorstellungen und unternimmt mit einem ihrer Liebhaber sogar eine Berlinreise. Für damalige Verhältnisse ein Skandal, wurde von Frauen doch erwartet, dass sie zu Hause bleiben oder wenigstens nur mit dem eigenen Ehemann, Familienangehörigen oder Anstandsdame reisen. Das erstaunlichste daran ist jedoch, dass diese Affären keine Auswirkung auf die Rezeption ihres schriftstellerischen Schaffens hat, sondern dieses anscheinend völlig unabhängig von ihrem persönlichen Verhalten und nur auf Basis des literarischen Wertes beurteilt wurde. So nimmt Schiller, der im Urteil anderen Frauen gegenüber durchaus abfällig werden konnte, auch dann noch keinen Anstoß an ihrem Verhalten, als sie ihm selbst davon berichtet.

Sophie Mereau treibt ihre Schriftstellerei auch deshalb voran, um im Falle der von ihr immer stärker angestrebten Trennung ein finanzielles Auskommen zu haben. Ab 1800 zieht sie sich immer mehr von ihrem Mann zurück und wird schließlich im Juni 1801 von Mereau geschieden. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die sich in dieser Zeit scheiden lassen, geht sie jedoch nicht sofort die nächste Beziehung ein, die ihr Auskommen sichert, sondern bleibt zunächst allein. Ihren Lebensunterhalt sichert sie dabei, neben einer kleinen jährlichen Pension, die ihr geschiedener Mann ihr zahlen muss, durch ihre Schriftstellerei.

Clemens Brentano, mit dem Sophie Mereau bereits vor der Scheidung eine Zeit lang liiert war, erfährt über Umwege von der Trennung und versucht den Kontakt wieder aufzunehmen. Der acht Jahre jüngere Brentano hatte sich bereits beim ersten Treffen in Mereau verliebt und sie mit seiner ungestümen Liebe bedrängt. Mereau scheint einem erneuten Kontakt zunächst ablehnend gegenüber zu stehen, beginnt aber schließlich einen Briefwechsel mit ihm, in dem er sie wortgewandt von seiner Liebe überzeugen und zu einem Wiedersehen überreden kann. Das Zusammentreffen führt nun auch bei Sophie Mereau zu einem Wechsel der Gefühle: auch sie verliebt sich heftig. Dennoch besteht sie auf ihrer Unabhängigkeit. Sie willigt zwar ein mit Brentano zusammenzuleben möchte jedoch keine Ehe eingehen. Als sie jedoch schwanger wird, kann auch die so ungebundene, selbstsichere Sophie Mereau ihre Freiheit nicht länger bewahren: ein uneheliches Kind ist sogar für sie unvorstellbar. Die im November 1803 geschlossene Ehe der Brentanos ist stürmisch und konfliktreich. Besonders der Verlust der Kinder belastet die Beziehung. Sophie Mereau wird in den drei Ehejahren vier Mal schwanger, dabei sterben drei der Kinder sterben wenige Wochen nach der Geburt, das vierte ist eine Fehlgeburt. Hinzu kommt, das Clemens Brentano, der in seinem Roman Godwi das Bild einer unabhängigen Frau beschworen hat, von seiner eigenen Ehefrau konventionell-bürgerliches und ganz auf ihn ausgerichtetes Verhalten fordert. Anscheinend auf ihren Erfolg eifersüchtig, möchte er, dass sie die Schriftstellerei aufgibt. So kommt es, dass Sophie in der Zeit ihrer zweiten Ehe nur dann arbeitet, wenn Brentano auf Reisen ist. Sie fertigt jetzt vor allem Übersetzungen, Gedichte und kurze Erzählungen an. Als sie 1806 im Kindbett stirbt, ist sie erst 36 Jahre alt und hat für die knapp 15-jährige Spanne ihres Schaffens ein erstaunlich umfangreiches literarisches Werk hinterlassen.

 

Weiterführende Literatur:

Zur Situation der Frauen um 1800 im Allgemeinen:

  • Marie-Claire Hoock-Demarle: Die Frauen der Goethezeit. Aus dem Französischen von Renate Hörisch-Helligrath. München 1990.
  • Julia di Bartolo: Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena. Heidelberg 2008.

Die momentan einzige Mereau Biographie:

  • Dagmar von Gersdorff: Dich zu lieben kann ich nicht verlernen. Das Leben der Sophie Brentano-Mereau. Insel 2006.

Ausgaben von Mereaus Werk:

  • Sophie Mereau-Brentano: Wie sehn‘ ich mich hinaus in die freie Welt. Tagebuch, Betrachtungen und vermischte Prosa. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.
  • Sophie Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Emfpindung. Amanda und Eduard. Romane. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.
  • Sophie Mereau-Brentano: Ein Glück, das keine Wirklichkeit umspannt. Gedichte und Erzählungen. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.

Auf Wikisource lassen sich einige von Sophie Mereaus Gedichten online lesen:

Auf Zeno.org finden sich die beiden Romane: