Um die Postingmoral in diesem Blog mal etwas anzuheben und ganz nebenbei um ein bisschen zu prokrastinieren eröffne ich jetzt mal dieses schon etwas ältere aber trotzdem tolle Bücherstöckchen, das ich entweder bei isabo oder bei Anke Gröner gefunden habe, die es vermutlich direkt oder auf Umwegen bei der Kaltmamsell gesehen hatten, die hat es e13.de, von der die Bearbeitung der ursprünglichen Version stammt, die sie bei holyfruitsalad entdeckt hatte, die die Idee offenbar von Petra A. Bauer hat. Oder so.
1. Das Buch, das du zurzeit liest
2. Das Buch, das du als nächstes liest/lesen willst
3. Dein Lieblingsbuch
4. Dein Hassbuch
5. Ein Buch, das du immer und immer wieder lesen könntest
6. Ein Buch, das du nur einmal lesen kannst (egal, ob du es hasst oder nicht)
7. Ein Buch, das dich an jemanden erinnert
8. Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert
9. Das erste Buch, das du je gelesen hast
10. Ein Buch von deinem Lieblingsautor/deiner Lieblingsautorin
11. Ein Buch, das du mal geliebt hast, aber jetzt hasst
12. Ein Buch, das du von Freunden/Bekannten/… empfohlen bekommen hast
13. Ein Buch, bei dem du nur lachen kannst
14. Ein Buch aus deiner Kindheit
15. Das 4. Buch in deinem Regal von links
16. Das 9. Buch in deinem Regal von rechts
17. Augen zu und irgendein Buch aus dem Regal nehmen
18. Das Buch mit dem schönsten Cover, das du besitzt
19. Ein Buch, das du schon immer lesen wolltest
20. Das beste Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
21. Das blödeste Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
22. Das Buch in deinem Regal, das die meisten Seiten hat
23. Das Buch in deinem Regal, das die wenigsten Seiten hat
24. Ein Buch, von dem niemand gedacht hätte, dass du es liest/gelesen hast
25. Ein Buch, bei dem die Hauptperson dich ziemlich gut beschreibt
26. Ein Buch, aus dem du deinen Kindern vorlesen würdest
27. Ein Buch, dessen Hauptperson dein „Ideal“ ist
28. Zum Glück wurde dieses Buch verfilmt!
29. Warum zur Hölle wurde dieses Buch verfilmt?
30. Warum zur Hölle wurde dieses Buch noch nicht verfilmt?
31. Das Buch, das du am häufigsten verschenkt hast
Drehbuch: Alex Garland, basierend auf Kazuo Ishiguros Buch
mit Carey Mulligan, Keira Knightley und Andrew Garfield
Wer mal wieder Lust hat auf einen ergreifenden, aber auch entsetzenden Kinofilm, sollte in Mark Romaneks Verfilmung von Kazuo Ishiguros Sciene-Fiction-Roman „Alles was wir geben mussten“ gehen.
Der Film beginnt mit dem Rückblick von Kathy H., die auf ihre glückliche Kindheit Mitte des 20 Jahrunderts in Hailsham zurückblickt – alles scheint unbeschwert; ein englisches Internat in typischen Backsteinstil, große Schlafsäle und strenge Erzieherinnen.
Gegen diese scheinbare Idylle spricht die erste Szene – Kathy H., die melancholisch auf einen Mann blickt, der gleich operiert wird. Dieses anfängliche Unbehagen wird beim Zuschauer subtil gesteigert, durch Beobachtung der wöchentlichen Gesundheitsuntersuchung, die streng durchgeführt wird oder der morgendlichen Einnahme von gesundheitsfördernden Mittel.
Regelmäßig kommt auch eine Frau, die Bilder für ihre Galerie auswählt – die besten Werke aus dem Kunstunterricht, was auch für die Kinder eine besondere Ehre bedeutet.
Erst als eine progressivere Aufsicht, Miss Lucy ihrer Klasse, worin Kathy mit ihren Freunden Tommy und Ruth sitzt, die Wahrheit über ihre Existenz verständlich erklärt, wird Sinn und Zweck von sportlicher Betätigung und ärztlichen Untersuchungen klar: Alle Hailsham-Schüler sind im Grunde nichts anderes als Organspender – nur aufgezogen, um als Ersatzteillager für andere Menschen zu dienen.
Nach Abschluss der Schule kommen Kathy, Ruth und Tommy gemeinsam auf die Cottages, ein Bauernhof, wo sie ab und an mitarbeiten müssen, sonst aber im Großen und Ganzen sich selbst überlassen sind. Die Dreiecksbeziehung zwischen den drei wird hier am schwierigsten für Kathy: Ruth und Tommy sind ein Paar, obwohl Kathy viel früher auf Tommy zugegangen ist, als er noch von allen in der Schule gehänselt wurde, weil er weder im Sport noch im Kunstunterricht gut war.
Nachdem Ruth Kathy unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie sich nie von Tommy trennen würde, bewirbt sich Kathy für einen Freiwilligendienst, der für die „Organspender“ angeboten wird – sie wird Betreuerin von anderen Organspendern und begleitet diese vor und nach den Organspenden. Dies ist auch der erste Bruch zwischen den dreien – kurze Zeit später scheitert auch die Beziehung zwischen Ruth und Tommy. Sie verlieren sich aus den Augen.
Nur über Zufall trifft Kathy Ruth wieder – als Ruth im selben Krankenhaus wie eine ihrer betreuten Patienten liegt, nach ihrer zweiten Organspende. Ruth möchte auch Tommy sehen, gemeinsam mit Kathy, nur um sich bei den beiden zu entschuldigen, dafür, dass sie Tommy und Kathy bewusst voneinander ferngehalten hat. Als Wiedergutmachungsangebot gibt sie den Beiden die Adresse, wo Paare, die in Hailsham zur Schule gegangen sind, angeblich noch einen Aufschub bekommen können – vor ihren Organspenden. Die kurze Hoffnung wird enttäuscht und Tommy „vollendet“ mit seiner dritten Organspende, d.h. er stirbt während dieser.
Besonders schockierend an dem Film ist die Tatsache, dass er so realistisch gestaltet ist, da er einmal im 20 Jahrhundert spielt, aber auch nahe an den tatsächlichen Möglichkeiten der Menschheit unserer Zeit ist. Das Gedankenspiel, dass andere Menschen „aufgezogen“ werden, um als Ersatzteillager funktionieren, scheint auf den ersten Blick absurd. Andererseits wird es in kleinen Maß bereits betrieben: Mithilfe der Gentechnik sind schon Kinder mit fast exakt gleichen Genen gezeugt worden, damit sie später als Organspender für den krebskranken Bruder oder schwerkranke Schwester dienen. Im Prinzip ist dies ein ähnliches Verfahren, nur noch optimiert, da ein direkt passender Organspender geschaffen wird. Welche Problematik dadurch entstehen kann, ist im Film „Beim Leben meiner Schwester“ erzählt worden.
Neben der spannenden Geschichte, ist auch die Umsetzung bemerkenswert: Kurze Einblendungen von einem Sonnenuntergang oder der Stille auf einem Feld wirken wir filmische Vorboten für die folgenden Handlung. Zwar wird aus Kathys Sicht erzählt, aber der Zuschauer bekommt dennoch einen Einblick in das Innenleben der anderen Protagonisten durch kleine Szenen, die subtil die Filmrealität erklären; beispielsweise als die Organentnahme bei einem dem Zuschauer unbekannten Organspender gezeigt wird, der während der OP „vollendet“, wie es euphemistisch heißt. Fast ohne Mitgefühl wird der Sauerstoffschlauch abgesteckt, schnell die Organe weggebracht und die Tote liegt mit offenen Bauch würdelos und verlassen im OP-Saal.
Insgesamt vielleicht keine leichte Sommerunterhaltung, dafür aber ein anregender Film.
Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen beginnt mit der Entdeckung der neunjährigen Hauptfigur Rose, dass sie aus Essen die Gefühle derjenigen herausschmecken kann, die es zubereitet haben. So schmeckt der Geburtstagskuchen, den ihre Mutter aus frischen Zutaten für sie backt, für Rose nicht nur nach frisch gebackenem, leckeren Zitronenkuchen, sondern auch nach Traurigkeit. Als jedoch versucht mit ihrer Mutter über dieses Erlebnis und die Traurigkeit, die sie geschmeckt hat zu sprechen, nimmt sich diese kaum die Zeit ihrer Tochter richtig zu zuhören. So versteht sie auch überhaupt nicht, was das Problem der Tochter ist. Ähnlich wiederholt sich das Geschehen beim Abendessen mit der ganzen Familie. Als Rose erneut mit den Gefühlen kämpft, die sie im Essen schmeckt, macht sich niemand die Mühe verstehen zu wollen, was sie beschäftigt. Diese seltsame Unverbundenheit und mangelnde Teilnahme in der Familie zieht sich dabei durch das ganze Buch und wirkt beim Lesen immer wieder stark irritierend. Die einzige Person, mit der Rose im Lauf der Erzählung über ihre Erfahrung sprechen kann, ist ein Freund ihres älteren Bruders, George, der von diesem aber eifersüchtig bewacht wird. In der Folge bleibt auch dieser Kontakt Roses seltsam lose und unbeendet.
Um den Gefühlen der anderen, und besonders denen ihrer Mutter, im Essen zu entgehen, verlegt sich Rose darauf ausschließlich Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die so industriell wie möglich hergestellt wurden. Schon nach den ersten Experimenten mit George, die dazu dienen herauszufinden, ob Rose aus allen Lebensmitteln Gefühle herausschmecken kann, beginnt sie mit niemandem mehr über das Problem zu sprechen. Dabei scheinen aber auch alle Instanzen in Roses Umfeld zu versagen. Weder in ihrer Familie noch in der Schule versucht ein Erwachsener wirklich mit Rose zu sprechen, um herauszufinden, wie es ihr geht. Dabei wird jedoch in der ganzen Erzählung kein Grund dafür gegeben, weshalb alle Protagonisten unfähig sind soziale Beziehungen einzugehen. Stattdessen wird das Geschehen als natürlich dargestellt und nicht problematisiert.
Besonders irritierend an Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen ist jedoch, dass mit Ende des ersten Drittels plötzlich nicht mehr Rose sondern ihr Bruder zur Hauptperson wird, obwohl weiterhin stets aus Roses Perspektive erzählt wird. Dabei gleitet die Erzählung zudem völlig ins Phantastische ab, ohne dass dieser Bruch vorbereitet würde. Während es im Bereich des Vorstellbaren liegt, dass Rose Gefühle aus Essen schmecken kann (diese Fähigkeit scheint eher synästhetischer Natur zu sein), zieht ihr Bruder sich absurderweise aus der Welt zurück, indem er sich in einen Stuhl verwandelt. Mit dem ersten unerklärten Verschwinden des Bruders, wird dessen Abwesenheit zum Hauptthema. Auch hier zeigt sich, dass niemand in der Familie bereit ist, wirklich über Probleme zu sprechen. Es gibt keinen Versuch das Geschehen zu ändern oder mit den sonderbaren Vorkommnissen aktiv umzugehen. Diese Passivität der Figuren ist zusammen mit dem sonderbaren Abdrehen der Handlung so anstrengend und verstörend, dass man etwa ab der Hälfte des Buches nur noch weiterliest, um herauszufinden, ob es nicht doch noch vielleicht eine Lösung des Problems geben wird. Statt eines positiven Ergebnisses bricht Roses Familie jedoch auseinander. Ihr Bruder verschwindet endgültig. Ihre Eltern leben weiter an einander vorbei. George löst sich durch seine Heirat völlig aus Roses Lebenskreis. Rose selbst findet ein Restaurant, in dem ihr das Essen einigermaßen schmeckt. Sie beginnt dort zu arbeiten – nimmt aber weiterhin so viel Automatenessen wie nur möglich zu sich. Auf 298 Seiten schafft Rose es nicht, mit ihrer Fähigkeit umzugehen zu lernen, stattdessen nutzt sie ausschließlich Ausweichmanöver, um kein von Menschen zubereitetes Essen zu sich zu nehmen.
Auch die Sprache des Buches ist seltsam gebrochen. Der Versuch die Sprache eines Kindes nachzuahmen missglückt. Dies liegt u.a. daran, dass Rose aus der Retospektive erzählt und ungefähr 20jährig ist. Dennoch wird die Handlung erzählt, als ob Rose in dem jeweiligen Alter wäre, das erzählt wird. In der Folge kommt es zu einer Vermischung von kindlichem Stil und Worten und Phrasen, die eher Erwachsene benutzen würden. Dies zeigt sich besonders in der verwendeten Bildlichkeit: die verwendeten poetischen Bilder scheinen übertrieben, oder werden sofort gebrochen, so dass sie überwiegend negativ und störend auffallen.
Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen von Aimee Bender ist in der deutschen Ausgabe 2011 im Bloomsbury Verlag in Berlin erschienen und kostet in der Hardcoverausgabe 19,90€. Übersetzt wurde das Buch von Christiane Buchner und Martina Tichy.
Unsere zweite Exkursion führte uns nach Weimar. Der erste Teil der Miniserien über die Museumsexkursionen findet sich hier.
Um 1800 bildete das Herzogtum Sachsen-Weimar unter der Regentschaft von Herzogin Anna-Amalia einen Raum, in dem sich die intellektuellen Größen der Zeit versammeln konnten. Dies lag unter anderem daran, dass im Herzogtum eine relativ großzügige Zensur gehandhabt wurde, so dass es nicht nur Goethe und später Schiller, sondern auch Herder und Wieland dorthin zogen. Hinzu kam, dass die am geistigen Leben interessierte Herzogin diesen Männern auch Anstellungen an ihrem Hof bieten konnte. In der Folge ist Weimar heute voller Gedenkorte und Museen, die Personen thematisieren, die dort um 1800 gelebt haben.
Schiller selbst lebte nur von Oktober 1799 bis zu seinem Tod 1804 in Weimar und bewohnte dort überdies mehrere Wohnungen. Dass wir ausgerechnet das Schillerhaus besuchten, liegt am Kult der bereits im 19. Jahrhundert um Schiller und dessen Wohnhaus entstand. Im identifikationsbedürftigen 19. Jahrhundert begann, im Zusammenhang mit der Nationalstaatbewegung die Suche nach Identifikationsfiguren. Mit dem vorläufige Scheitern der Nationalbewegung verstärkte sich dieses Bedürfnis nach Figuren der nationalen Identifikation noch. Dass ausgerechnet Schiller zu einer der deutschen Identifikationsfiguren des 19. Jahrhunderts wurde liegt daran, dass er nicht nur als “der deutsche Autor” galt, dessen Texte zur Allgemeinbildung beinahe aller Bevölkerungsgruppen gehörte, sondern auch seine Lebensgeschichte zur “Heilsgeschichte” umgedeutet wurde. Während seine Texte, die nach heutigem Verständnis keineswegs national, sondern garadezu europäisch sind (man betrachte nur einmal die Handlungsorte seiner Dramen), als Ausdruck der nationalen Revolution gedeutet wurden, wurde Schiller selbst zur “Christusgestalt”. Dabei wurde sein künstlerisches Schaffen als “hohe Begabung” mit “heiligem Ernst” gedeutet und seine immer wieder aufkeimende Krankheit mit dem Leiden Christus’ gleichgesetzt. In diesem Zusammenhang entstanden nun nicht nur zahlreiche Schillerdenkmäler, sondern auch das Schillerhaus. Dieses wurde 1847 und damit am Vorabend der Revolution von 1848/49 als nationale Gedenkstätte eingerichtet.
Schillerhaus Weimar (via Wikipedia; Urheber: Andreas Trepte)
Diese ursprüngliche Gestaltung des Schillerhauses als Gedenkstätte und Ort der Schillerverehrung spiegelt sich noch im heutigen Museum. Obwohl der Innenhof mit einem Neubau gestaltet wurde, in dem sich neben Kasse, Museumsshop und sanitären Anlagen auch mehrere Funktions- und Ausstellungsräume befinden, gibt es keine wirkliche Thematisierung Schillers und seines Werkes. Stattdessen ist die Hauptattraktion seine Wohnstätte, in der versucht wurde, die Inneneinrichtun so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen. Dabei gibt es jedoch in den Räumen selbst keine Hinweise darauf, dass es eben dennoch kaum Originaleinrichtungsgegenstände mehr gibt. Gleichzeitig bleiben die Räume seltsam seelenlos. Nur mit viel Phantasie kann der Besucher sich vorstellen, dass überhaupt jemand in ihnen gelebt haben soll.
Da wir ein Führung durch den Dozenten bekommen haben, kann ich zudem leider nicht beurteilen, ob in den Führungen des Museums oder im Audioguide die Einrichtung problematisiert und die Geschichte des Schillerhauses besser erzählt wird. Die Erklärungen, die wir zumindest zum Audioguide bekommen haben, deuten jedoch darauf hin. Für einen Besuch, empfehle ich daher diesen zu benutzen, auch wenn ich selbst keine Erfahrungen mit diesem Audioguide gemacht habe.
Im Zuge einer Hausarbeit beschäftige ich mich gerade mit Sophie Mereau. 1770 geboren ist ihr Leben für eine Frau ihrer Zeit sehr ungewöhnlich. Da ist zum Einen die Tatsache, dass sie mit zwanzig Jahren ihr erstes Gedicht, eine Hymne auf die Freiheitsbewegung der Französischen Revolution, in Schillers Thalia veröffentlichen kann und Schiller in der Folge immer wieder Gedichte von ihr in seinen Zeitschriften veröffentlicht und sie auch mit Ratschlägen und Verbesserungen bezüglich ihrer literarischen Arbeit unterstützt. Da ist zum Andern ihr Streben nach Freiheit auch für sie als Frau, das von Aufklärung und Französischer Revolution inspiriert ist und das den Vorstellungen der Männer ihrer Zeit über das angemessene Verhalten von Frauen, entgegensteht. So weit es ihr in den engen Grenzen der Zeit möglich ist, versucht sie diese Vorstellungen auch in ihrem eigenen Leben umzusetzen. Ihren späteren Mann Friedrich Carl Mereau hält sie sechs Jahre lang hin und heiratet ihn 1793 schließlich nur, weil der Druck der Familie immer größer wird und sie auf die finanzielle Absicherung angewiesen ist. Zudem verfügt Carl Mereau in Jena über gute Kontakte zu den schriftstellerischen Größen und Verlegern der Zeit. Er vermittelt den ersten Kontakt zu Schiller und sorgt immer wieder dafür, dass die Werke seiner Frau veröffentlicht werden. Sophie Mereau nutzt die Zeit ihrer Ehe, um ihre schriftstellerische Tätigkeit voranzutreiben. Sie selbst vertieft den Kontakt mit Schiller, korrespondiert mit ihm über ihre Arbeit und trifft sich auch immer wieder für persönliche Gespräche darüber. Dabei ist das Verhältnis zwischen Schiller und Mereau nicht ausschließlich das von Schülerin und Lehrer, sondern durchaus kollegial.
Sophie Mereau veröffentlicht Gedichte und Erzählungen in den wichtigen Zeitschriften ihrer Zeit, wird zur Gefragten Mitarbeiterin u.a. in Schillers Horen und übernimmt schließlich selbst die Herausgabe von Zeitschriften (u.a. des Göttinger Musen-Almanachs). Ihr eigenes Zeitschriftenprojekt dagegen kann sie vorläufig noch nicht durchführen.
Die Ehe der Mereaus ist von mangelnder Liebe seitens Sophie belastet, die sich in verschiedene Liebschaften und Affären stürzt, deren Existenz der Jenaer Öffentlichkeit durchaus bekannt sind. Dabei nimmt sie wenig Rücksicht auf Schicklichkeitsvorstellungen und unternimmt mit einem ihrer Liebhaber sogar eine Berlinreise. Für damalige Verhältnisse ein Skandal, wurde von Frauen doch erwartet, dass sie zu Hause bleiben oder wenigstens nur mit dem eigenen Ehemann, Familienangehörigen oder Anstandsdame reisen. Das erstaunlichste daran ist jedoch, dass diese Affären keine Auswirkung auf die Rezeption ihres schriftstellerischen Schaffens hat, sondern dieses anscheinend völlig unabhängig von ihrem persönlichen Verhalten und nur auf Basis des literarischen Wertes beurteilt wurde. So nimmt Schiller, der im Urteil anderen Frauen gegenüber durchaus abfällig werden konnte, auch dann noch keinen Anstoß an ihrem Verhalten, als sie ihm selbst davon berichtet.
Sophie Mereau treibt ihre Schriftstellerei auch deshalb voran, um im Falle der von ihr immer stärker angestrebten Trennung ein finanzielles Auskommen zu haben. Ab 1800 zieht sie sich immer mehr von ihrem Mann zurück und wird schließlich im Juni 1801 von Mereau geschieden. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die sich in dieser Zeit scheiden lassen, geht sie jedoch nicht sofort die nächste Beziehung ein, die ihr Auskommen sichert, sondern bleibt zunächst allein. Ihren Lebensunterhalt sichert sie dabei, neben einer kleinen jährlichen Pension, die ihr geschiedener Mann ihr zahlen muss, durch ihre Schriftstellerei.
Clemens Brentano, mit dem Sophie Mereau bereits vor der Scheidung eine Zeit lang liiert war, erfährt über Umwege von der Trennung und versucht den Kontakt wieder aufzunehmen. Der acht Jahre jüngere Brentano hatte sich bereits beim ersten Treffen in Mereau verliebt und sie mit seiner ungestümen Liebe bedrängt. Mereau scheint einem erneuten Kontakt zunächst ablehnend gegenüber zu stehen, beginnt aber schließlich einen Briefwechsel mit ihm, in dem er sie wortgewandt von seiner Liebe überzeugen und zu einem Wiedersehen überreden kann. Das Zusammentreffen führt nun auch bei Sophie Mereau zu einem Wechsel der Gefühle: auch sie verliebt sich heftig. Dennoch besteht sie auf ihrer Unabhängigkeit. Sie willigt zwar ein mit Brentano zusammenzuleben möchte jedoch keine Ehe eingehen. Als sie jedoch schwanger wird, kann auch die so ungebundene, selbstsichere Sophie Mereau ihre Freiheit nicht länger bewahren: ein uneheliches Kind ist sogar für sie unvorstellbar. Die im November 1803 geschlossene Ehe der Brentanos ist stürmisch und konfliktreich. Besonders der Verlust der Kinder belastet die Beziehung. Sophie Mereau wird in den drei Ehejahren vier Mal schwanger, dabei sterben drei der Kinder sterben wenige Wochen nach der Geburt, das vierte ist eine Fehlgeburt. Hinzu kommt, das Clemens Brentano, der in seinem Roman Godwi das Bild einer unabhängigen Frau beschworen hat, von seiner eigenen Ehefrau konventionell-bürgerliches und ganz auf ihn ausgerichtetes Verhalten fordert. Anscheinend auf ihren Erfolg eifersüchtig, möchte er, dass sie die Schriftstellerei aufgibt. So kommt es, dass Sophie in der Zeit ihrer zweiten Ehe nur dann arbeitet, wenn Brentano auf Reisen ist. Sie fertigt jetzt vor allem Übersetzungen, Gedichte und kurze Erzählungen an. Als sie 1806 im Kindbett stirbt, ist sie erst 36 Jahre alt und hat für die knapp 15-jährige Spanne ihres Schaffens ein erstaunlich umfangreiches literarisches Werk hinterlassen.
Weiterführende Literatur:
Zur Situation der Frauen um 1800 im Allgemeinen:
Marie-Claire Hoock-Demarle: Die Frauen der Goethezeit. Aus dem Französischen von Renate Hörisch-Helligrath. München 1990.
Julia di Bartolo: Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena. Heidelberg 2008.
Die momentan einzige Mereau Biographie:
Dagmar von Gersdorff: Dich zu lieben kann ich nicht verlernen. Das Leben der Sophie Brentano-Mereau. Insel 2006.
Ausgaben von Mereaus Werk:
Sophie Mereau-Brentano: Wie sehn‘ ich mich hinaus in die freie Welt. Tagebuch, Betrachtungen und vermischte Prosa. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.
Sophie Mereau-Brentano: Das Blütenalter der Emfpindung. Amanda und Eduard. Romane. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.
Sophie Mereau-Brentano: Ein Glück, das keine Wirklichkeit umspannt. Gedichte und Erzählungen. Hersg. und kommentiert von Katharina von Hammerstein. München 1996.
Auf Wikisource lassen sich einige von Sophie Mereaus Gedichten online lesen: