Regie: Mark Romanek
Drehbuch: Alex Garland, basierend auf Kazuo Ishiguros Buch
mit Carey Mulligan, Keira Knightley und Andrew Garfield
Wer mal wieder Lust hat auf einen ergreifenden, aber auch entsetzenden Kinofilm, sollte in Mark Romaneks Verfilmung von Kazuo Ishiguros Sciene-Fiction-Roman „Alles was wir geben mussten“ gehen.
Der Film beginnt mit dem Rückblick von Kathy H., die auf ihre glückliche Kindheit Mitte des 20 Jahrunderts in Hailsham zurückblickt – alles scheint unbeschwert; ein englisches Internat in typischen Backsteinstil, große Schlafsäle und strenge Erzieherinnen.
Gegen diese scheinbare Idylle spricht die erste Szene – Kathy H., die melancholisch auf einen Mann blickt, der gleich operiert wird. Dieses anfängliche Unbehagen wird beim Zuschauer subtil gesteigert, durch Beobachtung der wöchentlichen Gesundheitsuntersuchung, die streng durchgeführt wird oder der morgendlichen Einnahme von gesundheitsfördernden Mittel.
Regelmäßig kommt auch eine Frau, die Bilder für ihre Galerie auswählt – die besten Werke aus dem Kunstunterricht, was auch für die Kinder eine besondere Ehre bedeutet.
Erst als eine progressivere Aufsicht, Miss Lucy ihrer Klasse, worin Kathy mit ihren Freunden Tommy und Ruth sitzt, die Wahrheit über ihre Existenz verständlich erklärt, wird Sinn und Zweck von sportlicher Betätigung und ärztlichen Untersuchungen klar: Alle Hailsham-Schüler sind im Grunde nichts anderes als Organspender – nur aufgezogen, um als Ersatzteillager für andere Menschen zu dienen.
Nach Abschluss der Schule kommen Kathy, Ruth und Tommy gemeinsam auf die Cottages, ein Bauernhof, wo sie ab und an mitarbeiten müssen, sonst aber im Großen und Ganzen sich selbst überlassen sind. Die Dreiecksbeziehung zwischen den drei wird hier am schwierigsten für Kathy: Ruth und Tommy sind ein Paar, obwohl Kathy viel früher auf Tommy zugegangen ist, als er noch von allen in der Schule gehänselt wurde, weil er weder im Sport noch im Kunstunterricht gut war.
Nachdem Ruth Kathy unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie sich nie von Tommy trennen würde, bewirbt sich Kathy für einen Freiwilligendienst, der für die „Organspender“ angeboten wird – sie wird Betreuerin von anderen Organspendern und begleitet diese vor und nach den Organspenden. Dies ist auch der erste Bruch zwischen den dreien – kurze Zeit später scheitert auch die Beziehung zwischen Ruth und Tommy. Sie verlieren sich aus den Augen.
Nur über Zufall trifft Kathy Ruth wieder – als Ruth im selben Krankenhaus wie eine ihrer betreuten Patienten liegt, nach ihrer zweiten Organspende. Ruth möchte auch Tommy sehen, gemeinsam mit Kathy, nur um sich bei den beiden zu entschuldigen, dafür, dass sie Tommy und Kathy bewusst voneinander ferngehalten hat. Als Wiedergutmachungsangebot gibt sie den Beiden die Adresse, wo Paare, die in Hailsham zur Schule gegangen sind, angeblich noch einen Aufschub bekommen können – vor ihren Organspenden. Die kurze Hoffnung wird enttäuscht und Tommy „vollendet“ mit seiner dritten Organspende, d.h. er stirbt während dieser.
Besonders schockierend an dem Film ist die Tatsache, dass er so realistisch gestaltet ist, da er einmal im 20 Jahrhundert spielt, aber auch nahe an den tatsächlichen Möglichkeiten der Menschheit unserer Zeit ist. Das Gedankenspiel, dass andere Menschen „aufgezogen“ werden, um als Ersatzteillager funktionieren, scheint auf den ersten Blick absurd. Andererseits wird es in kleinen Maß bereits betrieben: Mithilfe der Gentechnik sind schon Kinder mit fast exakt gleichen Genen gezeugt worden, damit sie später als Organspender für den krebskranken Bruder oder schwerkranke Schwester dienen. Im Prinzip ist dies ein ähnliches Verfahren, nur noch optimiert, da ein direkt passender Organspender geschaffen wird. Welche Problematik dadurch entstehen kann, ist im Film „Beim Leben meiner Schwester“ erzählt worden.
Neben der spannenden Geschichte, ist auch die Umsetzung bemerkenswert: Kurze Einblendungen von einem Sonnenuntergang oder der Stille auf einem Feld wirken wir filmische Vorboten für die folgenden Handlung. Zwar wird aus Kathys Sicht erzählt, aber der Zuschauer bekommt dennoch einen Einblick in das Innenleben der anderen Protagonisten durch kleine Szenen, die subtil die Filmrealität erklären; beispielsweise als die Organentnahme bei einem dem Zuschauer unbekannten Organspender gezeigt wird, der während der OP „vollendet“, wie es euphemistisch heißt. Fast ohne Mitgefühl wird der Sauerstoffschlauch abgesteckt, schnell die Organe weggebracht und die Tote liegt mit offenen Bauch würdelos und verlassen im OP-Saal.
Insgesamt vielleicht keine leichte Sommerunterhaltung, dafür aber ein anregender Film.