Rezensiert: Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen

Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen beginnt mit der Entdeckung der neunjährigen Hauptfigur Rose, dass sie aus Essen die Gefühle derjenigen herausschmecken kann, die es zubereitet haben. So schmeckt der Geburtstagskuchen, den ihre Mutter aus frischen Zutaten für sie backt, für Rose nicht nur nach frisch gebackenem, leckeren Zitronenkuchen, sondern auch nach Traurigkeit. Als jedoch versucht mit ihrer Mutter über dieses Erlebnis und die Traurigkeit, die sie geschmeckt hat zu sprechen, nimmt sich diese kaum die Zeit ihrer Tochter richtig zu zuhören. So versteht sie auch überhaupt nicht, was das Problem der Tochter ist. Ähnlich wiederholt sich das Geschehen beim Abendessen mit der ganzen Familie. Als Rose erneut mit den Gefühlen kämpft, die sie im Essen schmeckt, macht sich niemand die Mühe verstehen zu wollen, was sie beschäftigt. Diese seltsame Unverbundenheit und mangelnde Teilnahme in der Familie zieht sich dabei durch das ganze Buch und wirkt beim Lesen immer wieder stark irritierend. Die einzige Person, mit der Rose im Lauf der Erzählung über ihre Erfahrung sprechen kann, ist ein Freund ihres älteren Bruders, George, der von diesem aber eifersüchtig bewacht wird. In der Folge bleibt auch dieser Kontakt Roses seltsam lose und unbeendet.

Um den Gefühlen der anderen, und besonders denen ihrer Mutter, im Essen zu entgehen, verlegt sich Rose darauf ausschließlich Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die so industriell wie möglich hergestellt wurden. Schon nach den ersten Experimenten mit George, die dazu dienen herauszufinden, ob Rose aus allen Lebensmitteln Gefühle herausschmecken kann, beginnt sie mit niemandem mehr über das Problem zu sprechen. Dabei scheinen aber auch alle Instanzen in Roses Umfeld zu versagen. Weder in ihrer Familie noch in der Schule versucht ein Erwachsener wirklich mit Rose zu sprechen, um herauszufinden, wie es ihr geht. Dabei wird jedoch in der ganzen Erzählung kein Grund dafür gegeben, weshalb alle Protagonisten unfähig sind soziale Beziehungen einzugehen. Stattdessen wird das Geschehen als natürlich dargestellt und nicht problematisiert.

Besonders irritierend an Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen ist jedoch, dass mit Ende des ersten Drittels plötzlich nicht mehr Rose sondern ihr Bruder zur Hauptperson wird, obwohl weiterhin stets aus Roses Perspektive erzählt wird. Dabei gleitet die Erzählung zudem völlig ins Phantastische ab, ohne dass dieser Bruch vorbereitet würde. Während es im Bereich des Vorstellbaren liegt, dass Rose Gefühle aus Essen schmecken kann (diese Fähigkeit scheint eher synästhetischer Natur zu sein), zieht ihr Bruder sich absurderweise aus der Welt zurück, indem er sich in einen Stuhl verwandelt. Mit dem ersten unerklärten Verschwinden des Bruders, wird dessen Abwesenheit zum Hauptthema. Auch hier zeigt sich, dass niemand in der Familie bereit ist, wirklich über Probleme zu sprechen. Es gibt keinen Versuch das Geschehen zu ändern oder mit den sonderbaren Vorkommnissen aktiv umzugehen. Diese Passivität der Figuren ist zusammen mit dem sonderbaren Abdrehen der Handlung so anstrengend und verstörend, dass man etwa ab der Hälfte des Buches nur noch weiterliest, um herauszufinden, ob es nicht doch noch vielleicht eine Lösung des Problems geben wird. Statt eines positiven Ergebnisses bricht Roses Familie jedoch auseinander. Ihr Bruder verschwindet endgültig. Ihre Eltern leben weiter an einander vorbei. George löst sich durch seine Heirat völlig aus Roses Lebenskreis. Rose selbst findet ein Restaurant, in dem ihr das Essen einigermaßen schmeckt. Sie beginnt dort zu arbeiten – nimmt aber weiterhin so viel Automatenessen wie nur möglich zu sich. Auf 298 Seiten schafft Rose es nicht, mit ihrer Fähigkeit umzugehen zu lernen, stattdessen nutzt sie ausschließlich Ausweichmanöver, um kein von Menschen zubereitetes Essen zu sich zu nehmen.

Auch die Sprache des Buches ist seltsam gebrochen. Der Versuch die Sprache eines Kindes nachzuahmen missglückt. Dies liegt u.a. daran, dass Rose aus der Retospektive erzählt und ungefähr 20jährig ist. Dennoch wird die Handlung erzählt, als ob Rose in dem jeweiligen Alter wäre, das erzählt wird. In der Folge kommt es zu einer Vermischung von kindlichem Stil und Worten und Phrasen, die eher Erwachsene benutzen würden. Dies zeigt sich besonders in der verwendeten Bildlichkeit: die verwendeten poetischen Bilder scheinen übertrieben, oder werden sofort gebrochen, so dass sie überwiegend negativ und störend auffallen.

Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen von Aimee Bender ist in der deutschen Ausgabe 2011 im Bloomsbury Verlag in Berlin erschienen und kostet in der Hardcoverausgabe 19,90€. Übersetzt wurde das Buch von Christiane Buchner und Martina Tichy.