Geisteswissenschaftliche Sachliteratur

Percanta hat auf Twitter gefragt, welche geisteswissenschaftlichen Sachbücher man mögen würde und welche noch fehlen würden. Die Antwort ist mir für Twitter zu lang, aber wozu hab ich denn ein Blog. Also hier erst mal die Liste mit den wissenschaftlichen Büchern, die ich spontan so empfehlen würde.

  • Linda L. Layne, Sharra L. Vostral, Kate Boyer (Hg.): Feminist Technology. Das Buch haben wir im Seminar “Technik und Geschlecht” gelesen. Die Autorinnen schreiben witzig, gut lesbar und spannend. Darum gehts: Können Technik und Technologien feministisch sein? Welche Rolle spielen Tampons, Milchpumpen und Kondome für den Feminismus? Welche verschiedenen Blickwinkel kann man als feministische Frau darauf haben.
  • Gudrun Silberzahn-Jandt: Wasch-Maschine. Zum Wandel von Frauenarbeit im Haushalt. Das Buch ist quasi Kulturanthropologie in Reinform: Feldforschung, etwas historischer Hintergrund, ein Alltagsthema, der Genderforschungs-Blickwinkel. Darum gehts: Die Entwicklung der Waschmaschine und die damit verbundenen Veränderungen der Hausarbeit.
  • Julia Frindte, Siegrid Westphal (Hg.): Handlungsspielräume von Frauen um 1800. Darum gehts: Lebensbereiche in denen Frauen um 1800 agierten. Immer vor dem Hintergrund, welche Möglichkeiten und Freiheiten es gab, außerhalb konventioneller Rollenmuster zu leben.
  • Angela Borchert, Ralf Dressel (Hg.): Das Journal des Luxus und der Moden. Kultur um 1800. Schade dass das Buch zu teuer ist – aber das Bibliotheksexemplar steht jetzt seit über ‘nem Jahr in meinem Regal 😉 Darum gehts: Das Journal des Luxus und der Moden eine historische (Frauen-)Zeitschrift. Eine super spannende Quelle, die richtig viel Spass macht.

Die letzten beiden Bücher sind im Verlag Winter erschienen. Sie sind wunderschön blau. Außerdem kommen beide Publikationen aus dem gleichen DFG-Sonderforschungsbereich “Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800”. Alle Publikationen aus diesem, die ich bisher gelesen habe waren spannend.

  • Astrid Ackermann: London, Paris und die europäische Provinz. Die frühen Modejournale 1770-1830. Ein weiteres Buch aus der Reihe zu meiner Masterarbeit. Darum gehts: Der Titel sagt es quasi. Ackermann analysiert vergleichend verschiedene europäische Modejournale. Speziellen Fokus legt sie dabei auf: Geschmack, Kleidermode, Wohnen, Luxus, die Frage nach Geschlecht und Nation.
  • Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Das Buch muss einfach in einer Liste von mir auftauchen. Fantum seit dem ersten Semester. Wenn man sich mal an Bourdieus Stil gewöhnt hat, dann ist das Buch sogar ziemlich gut lesbar. Außerdem bringt Bourdieu einfach großartige Beispiele. Darum gehts: Bourdieu analysiert wie sich gesellschaftliche Zugehörigkeit ausdrückt, wie sich verschiedene Gruppen abgrenzen. Das Ganze für das Frankreich der 60er.
  • Salman Rushdie: Joseph Anton. Nur teilweise Sachbuch. Rushdie schreibt seine Autobiographie aber das ganze ist so literarisch, dass es auch einen guten Roman abgibt. Macht jedenfalls jede Menge Spass auf weitere Literatur.
  • Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. Schon wieder was Feministisches. Aber Woolfs Überlegungen bringen einen heute noch weiter. Darum gehts: Die Frage warum Frauen im Großen und Ganzen eigentlich keine Literatur produziert haben, wie Shakespeare oder andere.
  • Bücher über Fantum. Doctor Who, Sherlock… egal. Da schreiben vor allem Wissenschaftler, die selbst Fans sind, entsprechend sind sie passioniert, aber kritisch und das merkt man den Texten einfach an. Wenn man selbst nicht grade Fan des betreffenden Gegenstandes ist, unter Umständen vielleicht anstrengend zu lesen, aber meistens steckt die Begeisterung an.
  • Ralph Bollmann: Walküre in Detmold. Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz. Und plötzlich möchte man wieder mal in die Oper oder wenigstens ins nächste Theater. Darum gehts: Bollmann besucht alle deutschen Opernhäuser. Das sind mehr als es sonst auf der gesamten Welt zusammen gibt. (Ein Hoch auf die deutsche Kleinstaaterei!)

Und dann ist da noch die Frage, was ich gerne lesen würde:

  • Mehr über Serienkonsum und -rezeption. Was machen Leute eigentlich wenn sie fernsehen? Warum machen sie das? In welchen Settings? Wie gehen sie mit Fernsehen um?
  • Was machen eigentlich die ganzen DIY-Leute so? Warum? Wie? Wie wird das finanziert? Was wird genäht, gestrickt, gehäkelt, geschreinert?
  • Mehr Literatur über Literatur, die Lust darauf macht, Literatur besser zu verstehen, Literatur analysiert ohne trocken zu sein…
  • Mehr Literatur über Musik, die mir Musik erklärt. Es gab da mal vom Bayerischen Rundfunk ‘ne CD zur Johannespassion. Die war großartig. Am besten ist so was multimedial. Text fürs Schnelllesen und Hörbeispiele zum Verstehen. Können nicht irgendwelche Musikwissenschaftler mal anfangen dazu zu bloggen? Jemand mit Klavier, der es dann noch vorspielt?

Quellenkritik

Ich arbeite ja am liebsten zu historischen Themen. Sobald ich eine historische Quelle verwende, wird ein Aspekt sehr wichtig: Die Quellenkritik. Dabei handelt es sich um den äußerst wichtigen Prozess die verwendete Quelle einzuordnen. In der Kulturanthropologie in Göttingen wurde in meinem ersten Semester als Grundlagentext zu dieser Methode der Aufsatz “Archivalische Quellen und die Möglichkeiten ihrer Auswertung” von Silke Göttsch verwendet.1 Inzwischen habe ich diesen Aufsatz bestimmt 10 Mal gelesen. Ich kehre nämlich immer und immer wieder dazu zurück, wenn ich mit einer historischen Arbeit nicht mehr so recht weiter weiß.

Damit ich beim nächsten Mal vielleicht einfach mal meine Zusammenfassung lesen kann, schreibe ich sie hier auf. Dabei existieren bestimmt schon 3 verschiedene Exzerpte des Textes in meinen Unterlagen. Aber ich lasse mal den guten alten hermeneutischen Zirkel von Gadamer ins Spiel kommen: Bei wirklich jedem Mal lesen ist etwas anderes an diesem Text wichtig für mich.

Fragen der Quellenkritik nach Karl-Sigismund Kramer

  1. “Kritik der Echtheit” = ist eine Quelle (un-)bewusst gefälscht?
  2. “Kritik des Früheren oder Späteren” = was ist die Reihenfolge des Dargestellten?
  3. “Kritik des Richtigen” = wie ist eine Quelle intentional gefärbt?

Es geht also vornehmlich um die Fragen der Entstehung und Herkunft einer Quelle. Das ist wichtig, weil Quellen, die in Archiven aufbewahrt werden, Geschehenes und Handlungen Verschriftlichen. Sie sind nur das Ergebnis von tatsächlichem Geschehen. Aus diesem Grund muss man besonders darüber nachdenken, wie der Entstehungsprozess der Quelle ist, um dann Aussagen treffen zu können, wie früheres Leben gewesen sein mag.

Für historische Texte, die keine archivalischen Quellen sind, gibt Brigitte Bönisch-Brednich im Beitrag “Reiseberichte” im selben Sammelband Hinweise:

  1. Welches Text-Genre verwendet man? Wie ist dieses historisch einzuordnen?
  2. Welche Autoren schreiben? Wie bilden sich deren Sichtweisen in den Texten ab?
  3. Welche Quellen haben diese Autoren möglicherweise verwendet?

Auch hier geht es vor allem darum sich die Bedingungen unter denen ein Text produziert wurde so bewusst wie möglich zu machen, um so der Gefahr zu entgehen Annahmen aus dem Text unbemerkt zu übernehmen und sich nicht genügend von der Quelle zu distanzieren.

  1. In: Silke Göttsch, Albrecht Lehmann (Hgg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der europäischen Ethnologie. Berlin 2007.

O tempora o modi!

Obwohl an meinem Laptop seit geraumer Zeit ein Zettel “Kein historischhes Präsens” klebt, sind die Tempi und Modi in meiner Masterarbeit ein fürchterliches Durcheinander. Also sitze ich jetzt da und ackere mich in der Dudengrammatik durch das Kapitel “Die Funktionen der (einfachen und mehrteiligen) Verbformen”. Bisher habe ich dabei gelernt, dass es im Konjunktiv schwierig wird zeitliche Bezüge zu differenzieren. Dabei wäre für meinen Text durchaus wichtig. Schließlich arbeite ich historisch und muss immer wieder Quellen zitieren, was ich üblicherweise in der indirekten Rede, also im Konjunktiv tue. Dabei wäre es schön, wenn ich dabei auch nach Tempus differenzieren könnte.

Ich glaube übrigens, dass die große Beliebtheit des historischen Präsens (= über ein historisches Phänomen wird im Präsens geschrieben) darauf zurück zu führen ist, dass es die Tempusverwendung so viel einfaher macht, weil es stärker der gesprochenen Alltagssprache entspricht, in der sich die Autorinnen sicherer fühlen, als in der Schriftsprache.

Dann wiederum macht der Duden auch deutlich, weshalb es eigentlich doch sinnvoll wäre in erzählenden und wissenschaftlichen Texten das Präteritum zu verwenden:

Verständlich wird auch, dass das Präteritum das typische Tempus des Erzählens ist. Erzählen im nicht fiktionalen Sinne kann der Sprecher nur das, was von seinem Jetzt aus betrachtet festliegt und sich überblicken lässt – das heißt, Gegebenheiten in der Vergangenheit. Wenn nichts dagegen spricht, zeigt das Präteritum […] mithin nicht nur Vergangenheits-, sondern auch Wirklichkeitsbezug (“Faktizität”) an. (Duden. Die Grammatik S. 504)

Mal abgesehen davon, dass ich das Wort “Faktizität” einfach gerne mag, sagt dieser Satz auch etwas ganz Großartiges: Wenn ich mich in einem Text mit dem Präteritum ausdrücke, signalisiert die Sprache allein durch die Grammatik, dass etwas Wirklich und Echt ist. Das heißt auch, dass ich meinem Text allein durch die Verwendung des Präteritums mehr Nachdruck verleihen kann.

Auszüge aus dem “Journal des Luxus und der Moden”

Hier ein paar Fundstellen aus der Quelle für meine Masterarbeit, die ich leider nicht verwenden werde können, die aber viel zu großartig sind, um sie für mich zu behalten.

In einem Artikel über Arbeitsbeutel, die Damen in Ermangelung von Kleidertaschen mit sich führen müssen, findet sich diese Fußnote:

Glückskekse im 18. Jahrhundert (Journal des Luxus und der Moden. 13. Jg. November 1798. S. 605.)

Wer hätte gedacht, dass es Glückskekse schon in Frankreich im 18. Jahrhundert gegeben hat?

Außerdem in einem Artikel, der sich mit Lese-Moden beschäftigt und dabei mit dem Werther-Kult beginnt:

Keiner konnte sich in dieser Epoke mit einigem Anstand erschießen, oder er mußte es über dem aufgeschlagenen Werther thun; zum allerwenigsten mußte er den Tag vorher im Werther geblättert haben, wenn er nur einigermaßen, den Beyfall der Modewelt haben und mit all seinem Heldenmuth nicht unbemerkt aus der Welt schleichen wollte. (Journal des Luxus und der Moden. 7. Jg. November 1792. S. 550.)

Leseliste (16): 20.01.2015

Seit neuestem habe ich ja auch (endlich) ein Smartphone. Und weil ich kein einziges Spiel, dafür aber Twitter, Pocket und Fever drauf installiert habe, verbringe ich sehr viel Zeit mit lesen. Das macht vor allem Spass, weil das Texte-speichern wieder funktioniert. Allerdings habe ich so nicht nur sehr viele lesens- und erinnernswerte Texte gespeichert, sondern auch eine Menge alter Texte in Pocket gefunden. Ich werde also langsam meine Sammlung abarbeiten müssen.

Meine Hartz-IV-Familie: Undine Zimmer beschrieb schon im Oktober 2011 in der Zeit, welche Probleme es mit sich bringt, wenn man es schafft aus einer Harz-IV Familie “aufzusteigen”. Vor allem die Diskrepanz zwischen Bildungsinteresse und Scheitern in der Arbeitswelt wird deutlich. Und, dass die mangelnde Anerkennung schwere Folgen nach sich zieht. Passend dazu ein aktuelle Artikel in der Süddeutschen Schikane per Gesetz. Dort wird analysiert, dass Hartz-IV nicht Sicherheit bringt, sondern nur Unsicherheit. Und zwar sowohl für die, die keine Arbeit haben, als auch für die, die noch arbeiten. Denn, so der Artikel, dank Hartz-IV würden alle als “potentielle Faulpelze” eingestuft und wer seine Arbeit verliert, verliert auch ganz schnell seinen sozialen Status. Ich sehe auch einen ganz klaren Zusammenhang zu diesem Artikel in der FAZ, der neulich auf Twitter den Hass junger, gut ausgebildeter, aber noch nicht gut-verdienender Frauen auf sich gezogen hat. Die Frage ob man mit 7000 Euro im Monat reich ist, oder nicht, hängt auch davon ab, wie soziale Sicherungssysteme aussehen, falls man seine Arbeit verliert. Darüber hinaus denke ich, dass es ganz dringend nötig ist, wieder begriffliche Zwischenstufen zwischen arm und reich einzuführen. Vor allem für die Zone, die weder richtig arm, noch wirklich reich ist, gibt es keinen Begriff. Im Prinzip war das einmal “bürgerlich”, aber dank der Schere bei den Einkommen verschwindet diese Gruppe ja zunehmend. Dabei wäre es wohl besonders nötig, wenn alle, die eigentlich zu dieser Gruppe gehören besonders gut zusammenhalten, anstatt sich selbst zu zerfleischen. Dafür bräuchten allerdings sowohl der untere Rand als auch der obere jede Menge Selbstreflexion und weniger Hau-Drauf-Mentalität.

Ein alter Text, warum die meisten Menschen keine Computer benutzen können. Vermutlich aber immer noch genau so wahr.

Und dann gibt es da noch Chineasy, ein cooles Projekt, in dem chinesische Schriftzeichen zu Piktogrammen werden, damit man sie leichter lernen kann.

 

Ein Schreibtisch für sich allein

Vielleicht ist es etwas verwegen, Virginia Woolf für eine Überschrift in meinem Blog abzuwandeln, aber im letzten halben Jahr habe ich doch gemerkt, was für mich für effektives Arbeiten am Bedeutsamsten ist. Es muss kein eigener Raum sein – andere dürfen sich gerne im gleichen Zimmer aufhalten (solange sie dort arbeiten ;)). Aber mein eigener Schreibtisch ist doch essenziell. Ein Ort, an dem ich meine Sachen haben kann, an dem sie so sind, wie ich das zum Arbeiten brauche. Im letzten halben Jahr hatte ich über mehrere Monate hinweg keinen Schreibtisch. Eine Arbeitskabine in der Bibliothek hat mir phasenweise geholfen. (Aber ständig habe ich Dinge vermisst: Frischen Tee, einen Locher, das andere Buch, jenen Ordner.) Sobald ich aber meinen Schreibtisch zurück hatte, bin ich nicht mehr in die Bibliothek gegangen, obwohl die Arbeitsatmosphäre dort eigentlich ziemlich gut war.

Allerdings ist so ein Schreibtisch nicht das einzige, das zum produktiven Arbeiten nötig ist. Es zeigt sich immer deutlicher, dass eine Perspektive, was nach der Abschlussarbeit kommt, echt hilfreich wäre. Und dann natürlich: Deadlines. Und zwar am besten nicht nur eine Deadline wann die Arbeit abgegeben sein muss. Sondern viel, viel wichtiger: Deadlines für Zwischenschritte. Erstelle eine Literaturliste, eine Gliederung, das erste Kapitel, … und zwar bis zu einem bestimmten Datum! Dummerweise müssen diese Deadlines von außen kommen oder sehr, sehr ernst sein. Besser ist aber doch eindeutig, wenn einem jemand anderes dabei hilft, etwas Struktur in das eigene Arbeiten zu bringen. Die gesetzten Fristen haben dann einfach einen anderen Stellenwert. Im Idealfall sind sie  dann zwar ernst, können aber doch einigermaßen locker gesehen werden . Nach dem Motto: Es ist besser wenn ich sie einhalte, aber wenn ich es nicht tue, reißt mir auch keiner den Kopf ab.

Da mir die Person fehlt, die mich etwas am Gängelband hält, habe ich im letzen Jahr eine Menge über meine Arbeitsweise gelernt und darüber, wie ich für mich meine Arbeitszeit strukturieren muss. Gelernt habe ich vor allem dadurch, dass das für mich arbeiten häufig genug überhaupt nicht klappt. Außer einem Ort, an dem ich arbeiten kann, brauche ich definitiv einen gut strukturierten Arbeitsplan. Das bedeutet, dass ich mich ständig hinsetzen muss und über das, was noch zu tun ist, nachdenken muss. Und zwar auf drei verschiedenen Ebenen: Was muss ich überhaupt tun? Wie verteile ich diese Arbeit am sinnvollsten über die nächsten Wochen und Monate? Was muss ich  jeden einzelnen Tag Stunde für Stunde tun, um den so erstellten Plan umzusetzen? Die echt schwierige Kunst dabei ist, meine Zeit so zu planen, dass sie knapp genug ist, dass ich tatsächlich arbeite und nicht denke, “och ja, ist ja noch Zeit. Erst mal [setzte beliebige mehr als fünf Staffeln umfassende Serie ein] gucken!” Gleichzeitig aber muss die Zeitplanung so großzügig sein, dass es kein Problem ist, wenn ich mich mal verschätzt habe, was den Arbeitsaufwand betrifft. Die Erfolgserlebnisse, wenn ich dann schneller bin als geplant, helfen übrigens auch.

Für einen solchen realistischen Zeitplan ist es enorm wichtig, über Lese- und Schreibgeschwindigkeit nachzudenken. Ich habe festgestellt, dass ich für einfachere Texte ca. 3 Minuten pro Seite brauche, für schwierigere Textes sind es 5 Minuten pro Seite. Das ist großzügig gerechnet – eigentlich lese ich schon schneller. Aber dabei sind Tagträumereien, Twitterabschweifungen und wandernde Gedanken miteingerechnet. Sie sind mit dieser Kalkulation gerade so noch möglich, können aber nicht allzu ausufernd sein, wenn ich wirklich erledigen möchte, was ich mir vorgenommen habe. Wenn es darum geht selbst Text zu produzieren, dann brauche ich ca. 1 Stunde pro Seite. Wenn ich schon Notizen sortiert in einem Textdokument habe, geht es auch schneller. Auch hier sind Denkpausen, zwischendrin fernsehen etc. schon eingerechnet. Ausgehend von dieser Selbsterkenntnis über mein Arbeitstempo wird es überhaupt erst möglich einen sinnvollen Arbeitsplan zu erstellen.

Dummerweise komme ich allein damit, dass ich weiß, wie ich arbeiten sollte, noch nicht unbedingt weiter. Das schwierigste ist sich jeden Tag hinzusetzen (wird mit etwas Routine leichter) und vor allem, nach einer gewissen Zeit des Durchhaltens immer noch weiter zu machen. Manchmal hilft es nebenher andere Projekte zu haben. Eine Rezension zu schreiben, eine fremde Arbeit korrekturlesen… Etwas, dass nice to have ist, mit einer Deadline versehen ist und etwas weniger Spass macht, als meine eigentliche Arbeit. Dann hab ich nämlich eigentlich etwas anderes zu tun und kann prokrastinieren, indem ich meine Arbeit schreibe. Wirklich gut hilft es, einen Termin zu haben, wo ich Leuten etwas über seine Arbeit erzählen muss. So ein Vortrag (selbst vor Menschen, die etwas völlig anderes machen) bringt mich wirklich vorwärts, weil ich noch einmal Struktur in das bringen muss, was ich erarbeitet habe. Weil ich mein Thema so sehr vereinfachen muss, dass es jeder verstehen kann und ich dabei gleichzeitig noch vermitteln muss, was der eigentliche Kern ist. Dazu muss ich sehr gut verstanden haben, was ich eigentlich tue. Und da ich ja auch Ergebnisse vorstellen will, komme ich richtig gut vorwärts. Das ist eine gute Gelegenheit, um Lücken in der eigenen Arbeit zu finden.

Und dann habe ich noch etwas ganz besonders wichtiges gelernt. Bisher habe ich meine Arbeiten immer so geschrieben, dass ich erst alles gelesen habe, was mir zum Thema wichtig erschien. Gleichzeitig habe ich mich mit meinen Materialien und Daten beschäftigt. Und dann noch etwas mehr gelesen. Aber erst, wenn ich damit fertig war, habe ich angefangen meine Arbeit in einem Rutsch runter- und durchzuschreiben. Für größere wissenschaftliche Arbeiten ist das nun überhaupt nicht sinnvoll. Am wichtigsten ist es rückblickend, frühzeitig anzufangen regelmäßig zu Papier zu bringen, was ich erarbeitet habe. Und zwar nicht nur in Form von Exzerpten, sondern in Form von Textblöcken für die Arbeit. Ich glaube, ideal für mich wäre, in Themenblöcken über 1-2 Wochen zu arbeiten. Ca. alle zwei Wochen würde ich zwischen einem theoretischen oder methodischen Aspekt und meiner Quelle/dem Material/der eigenen Forschung wechseln. Dabei je 3-5 Texte pro Block lesen und exzerpieren und dann sofort zusammenfassen in einen Fließtext bringen, was die für mich und meine Arbeit wichtigen Erkenntnisse sind. Bei der Arbeit mit einer historischen Quelle ist es für mich, glaube ich sinnvoll, eine Fragestellung nach der anderen in Themenblöcken abzuarbeiteten, statt mir die Quelle chronologisch, in ihrer Gesamtheit zu erschließen. Natürlich funktioniert das nur nachdem man einen prinzipiellen Überblick über die Quelle  erlangt hat.

An den so entstehenden Texten kann ich dann, wenn ich weiter fortschreite und erneut bei einem Thema angelangt bin, weiterarbeiten. Sie unter Umständen auch neu schreiben, weil sich mein Erkenntnisinteresse verändert hat. Aber, etwas das mir für meine aktuelle Arbeit etwas gefehlt hat, mit dieser Methode kann ich vielleicht etwas besser absichern, dass ich keinen der Aspekte Quelle, theoretische Fundierung und angemessene Methodik vernachlässige.

Ins Internet schreiben

Gestern Abend bin ich über Minas Artikel Verletzlich auf ihrem Blog Frau Dingens gestolpert. Dieser wurde ausgelöst durch das Bedürfnis einfach mal schlechte Laune und Unwohlsein im Netz ablassen zu können und dem Gefühl, dass das nicht so einfach möglich ist. Sie schreibt darüber, wie sie wie sie nicht von Leuten aus dem Netz, die sie gar nicht kennen, bewertet werden will. Und wünscht sich einen Ort im Internet, wo sie einfach so sein kann, wie sie ist. Wie sehr sie Recht hat!

Für mich gehört sie zu der Gruppe von Leuten im Netz, die ich irgendwie mag und bewundere. Denn natürlich ist mir völlig klar, dass sie in der Realität nicht zu 100% so ist, wie es sich im Netz darstellt. Dieses Wissen führt bei mir dazu, dass ich eine große Hemmung habe, Leute aus dem Internet im echten Leben anzuquatschen. Denn die Antwort auf: “Bist du nicht xy aus dem Internet?”, ist viel zu offensichtlich: “Nein. Ich bin viel mehr.” Meistens möchte ich die Leute sogar im Internet in Ruhe lassen – woher soll ich das Recht haben, einfach so Fremde anzuquatschen?

Aber das ist gar nicht so sehr das, worum es mir heute eigentlich geht. Minas Artikel hat mich dazu gebracht noch mal anders über die Frage nachzudenken, die ich mir seit Wochen stelle. Nämlich die Frage danach, was wohl der Grund ist, warum ich momentan so wenig blogge, twittere, … warum ich seit Monaten kaum noch aktiv am Leben im Netz teilnehme.

Vielleicht liegt es daran, dass auch ich beobachten kann, wie der Ton im Internet immer rauer wird. Wie immer wieder Frauen 1 im Internet an Anfeindungen und Androhungen scheitern. Und das meist allein dafür, dass sie eine Geschichte erzählen oder ihre Meinung äußern. Und im deutschsprachigen Internet ist hier eben für mich persönlich das Beispiel von Mina besonders prägend. Sie ist aus vielen Gründen eine von denen, die mir auf Twitter fehlen, wenn sie gehen. Und deshalb fällt mir auf, wenn sie ihren Twitteraccount schließt, weil sie den Hass nicht mehr erträgt. Ihn wieder öffnet, weil ihr Twitter fehlt. Ihn wieder schließen muss und wieder öffnet. Respekt! Das was sie von sich im Internet zeigt ist bewundernswert energiegeladen, motiviert, begeistert.

Jedenfalls, der Grund, warum ich gerade deshalb heute doch einen Blogpost schreibe, ist, dass es offensichtlich einfach mehr normale Leute im Netz braucht. Diejenigen, die Menschen auch wieder aus den Schubladen lassen, in die sie sie gepackt haben, müssen sich vielleicht mehr zu Wort melden. Dann entsteht vielleicht eine Atmospähre, in der auch Angst und Verletzlichkeit und generelles Unwohlsein geäußert werden können. Dann muss niemand befürchten pauschal verurteilt zu werden, nur weil er mal auch eine andere Seite von sich zeigt. Dann kann das Internet der bunte Ort werden, den ich gerne hätte.

Und wenn diese Leute alle mehr bloggen, dann verteilt sich vielleicht auch der Hass und die negative Resonanz auf mehr Schultern und wird einfacher zu tragen.

  1. Natürlich sind es nicht nur Frauen, denen so was passiert. Aber (und das mag auch an den Themen liegen, für die ich mich interessiere) es sind eben gerade Frauen. Andererseits: Wenn ich an Fälle wie Anita Sarkeesian denke, dann zählen die Männer, die im Internet angegangen werden, vielleicht doch nicht mit.

Leseliste (15): 22.10.2014

Gerade lese ich für die Masterarbeit alles mögliche über Wissen, Wissenstheorie, Wissensforschung, Wissenssoziologie. Halt zur Frage, was Wissen ist, wie es entsteht, wie es verbreitet wird, wer an allen Prozessen beteiligt ist…

Dabei bin ich heute im Kontext von der Bedeutung des Wissens für Handel in der Frühen Neuzeit über folgendes lustiges Beispiel gestolpert:

No wonder that in 1478, some Venetians made a hole in the roof of the Doge’s palace in order to discover the latest news from Istanbul. [Peter Burke: A Social History of Knowledge. S 156]

 

Außerdem neulich schon in der Zeit Die Besserbürger. Zur Frage von Lebensstil und Bürgertum und was passiert, wenn bestimmte Marken/Stile nicht mehr der Distinktion dienen weil sie zu “mainstream” sind. Daraus zu merken “normcore”, das ist der aktuellste Trend aus den USA. Funktioniert, indem man sich so normal wie möglich gibt.

Wie Tumblr eine Serie schrieb

Ich bin Fan. Was lag also für mich näher als in der Vorlesung „Vom Märchenleser zum Serienjunkie“ eine Arbeit über Fans zu schreiben. Dort kam auch noch Sherlock ins Spiel und die Rede darauf, wie (besonders durch das Internet) Fans nicht mehr nur Medienkonsumenten, nicht mehr nur Mediennutzer sondern “Produser” werden, also in das Zwischenfeld zwischen der Nutzung von medialen Inhalten und einem eigenen Beitrag dazu eintreten. Was im Internet in den zwei Jahren zwischen der Ausstrahlung der zweiten und dritten Staffel von Sherlock passierte, fällt meiner Meinung nach genau in dieses Feld: Die Fans füllen Foren, Websiten und Blogs mit Theorien und Wissen zur Frage „Wie überlebt Sherlock“. Da sie dabei so gründlich vorgehen, dass keine Sekunde der Folge S02E03 unanalysiert bleibt, gibt es zwangsläufig eine Rückwirkung auf die folgende Episode. Die Autoren können nicht an den Theorien der Fans vorbei.
Für den theoretischen Hintergrund habe ich mich mit der Frage vom Zusammenhang von Serialität und Alltagskultur, der Rolle von Fans für solche Serien und dem Konzept von “Produsage” auseinander gesetzt.

Als Quelle für die Aktivitiäten der Fans benutzte ich vornehmlich ein Forum, in dem die Fans wiederum auf viele andere Seiten verlinken. Darüber hinaus habe ich mich natürlich in den Weiten des Internets verloren und stundenlang Video-Material zur Serie geguckt, auf das ich in meiner Analyse aber nur am Rande eingehe. Im Forum nutzen die Fans verschiedene Threads, um ihre Theorien und Fragen zur Serie zu diskutieren, miteinander zu argumentieren und versuchen auf eine Lösung zu kommen. Die Analysen von #SherlockNotDead sind vielfältig und mit unglaublichem Enthusiasmus und enormer Ausdauer verfasst.

Zum Schluss werde ich zeigen, welche Rückwirkungen die Theorien der Fans auf die erste Folge der dritten Staffel hat, von der die Fans erwartet haben, dass sie die Frage nach dem Überleben Sherlocks klärt.

Die Fanseite sherlock.broadhost ist ein gutes Beispiel um “produsage” von Fans zu beobachten. Jeder Diskussionsteilnehmer kann dort gleichberechtigt seine Ideen und Theorien vorstellen und trägt somit dazu bei dem gemeinsamen Ziel, herauszufinden wie Sherlock es schafft zu überleben, näher zu kommen. Im Prozess der Wissensproduktion evaluieren und kritisieren sich die Fans gegenseitig und verbessern so ihre Theorien, decken Fehler auf und gleichen Meinungen ab. Tendenziell ist die Diskussion dabei ohne Abschluss. Für Forschungsfragen, die zu beantworten schwierig wird, wenn sich das Feld ständig im Wandel befindet, ist aber gerade interessant, dass durch die Definitionsmacht der Serien-Produzenten dennoch eine endgültige Version existieren kann. Während in den frühen Folgen von Sherlock anderer Forschung zufolge kein „folding text“ stattfindet, wirkt sich die “produsage” der Fans nach der zweiten Staffel auf die Weitererzählung in der folgenden aus. Dies muss schon zwangsläufig der Fall sein, weil die von den Fans produzierten Ideen so vielfältig sind, dass es keine weiteren Möglichkeiten gibt, wie Sherlocks Überleben erzählt werden könnte, die noch nicht irgendwo aufgegriffen wurden. Folglich bleibt den Autoren wenig anderes übrig, als kreativ mit den schon veröffentlichten Ideen der Fans umzugehen. Dabei behandeln Stephen Moffat und Mark Gatiss die Fans allerdings manchmal etwas von oben herab, insbesondere wenn sie die Spekulationen der Fans an die unsympathisch gezeichnete Figur von Anderson binden, die innerhalb der Serie auch noch für Sherlocks Tod mitverantwortlich gemacht wird.

Be careful what you post on Tumblr…

Die Einleitung und ein Ausblick findet sich hier. Den theoretischen Hintergrund behandle ich im Post Serien – Fans – Produsage und den ersten Teil meiner Analyse im Post #SherlockNotDead.
 

Die Spekulationen der Fans darüber, wie Sherlock überlebt, sind nicht nur für sich eine Form von Produsage. Sie wirken darüber hinaus auch auf die Autoren der Serie und die offizielle Version der Handlung zurück. So zeigten Moffat, Gatiss und Vertue, die als Produzenten von Sherlock auf der Comic Con 2013 anwesend waren, bespielsweise ein Video mit Grüßen von Martin Freemann und Benedict Cumberbatch, in dem Cumberbatch „verrät“, wie Sherlock überlebt:

Allerdings sind die Stichwörter, die durch die Cuts und Störgeräusche zu hören sind und Cumberbatchs Gesten so übertrieben, dass dieses Video kaum auf die Spekulationen der Fans zurück wirkt. Hinzu kommt, dass Mitte 2013 The Reichenbach Fall von den Fans auch so sehr analysiert ist, dass wirklich nichts neues mehr dazu gesagt werden kann und die Spekulationen nachgelassen haben.

The Empty Hearse

Obwohl die Fans den Fall Sherlock Holmes teilweise betrachten, als wäre er nicht-fiktional und neben dem Filmmaterial auch den realen Drehort in ihre Analysen mit einbeziehen, anerkennen sie dennoch das (innerhalb von Produsage-Kontexten eigentlich nicht mehr gegebene) Recht Moffats und Gatiss‘ die „wahre“ Geschichte zu erzählen:

sherlocked: When the episodes of the third season are aired, we all have to read our little theories again and might smile a lot.

Dennoch haben die Spekulationen der Fans auch direkte Auswirkungen auf die erste Folge der dritten Staffel, in der erzählt werden muss, wie es passieren kann, dass Sherlock Holmes überlebt. Der Guardian zitiert Moffat, der sagt, dass es viel mehr Spass mache sich selbst Theorien zu überlegen, als erzählt zu bekommen, was passiere und Gatiss, der bemerkt, dass es eben nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten gebe, wie man von einem Gebäude springen könnte.
*********Spoilers für The Empty Hearse
Dies wird auch in der Folge aufgegriffen, wenn Sherlock sagt:

I calculated that there were thirteen possibilities once I’d invited Moriarty onto the roof. (…) The first scenario involved hurling myself into a parked hospital van filled with washing bags. Impossible. The angle was too steep. Secondly, a system of Japanese wrestling …

Da die Fans in zwei Jahren des Überanalysierens definitiv jede der Möglichkeiten abgedeckt haben, wirken die in The Empty Hearse präsentieren Möglichkeiten, als hätten Moffat und Gatiss im Internet abgeschrieben, was die Fans natürlich bemerken und kommentieren:
Careful what you post
How Sherlock was written

Insgesamt werden in The Empty Hearse drei Versionen erzählt, wie Sherlock überlebt haben könnte. Dabei wird jeweils sorgfältig darauf geachtet, dass am Ende der Erzählung deutlich wird, dass auch diese Version nur Spekulation bleibt. In den ersten beiden Fällen ist dies sehr deutlich markiert. Hier kommentieren andere Figuren die jeweilige Erzählung als unwahrscheinlich. Während die erste Version, die Anderson als ehemaliges Mitglied der Forensik DI Lestrade erzählt plausibel erscheint, bis er in seiner Erzählung von Lestrade unterbrochen wird, wird die zweite Version schon innerhalb der Erzählung skurril, wenn ein weiblicher Fan eine Romanze und einen Kuss zwischen Sherlock und seinem Erzfeind Moriarty beschreibt. Die dritte Version versteckt am geschicktesten, dass es sich nur um eine Theorie und nicht um die „Wahrheit“ handelt. Denn hier ist Sherlock selbst derjenige, der erzählt. Hinzu kommt, dass die Erzählung als Einschub in genau dem Moment erfolgt, als Sherlock und John mit einer tickenden Bombe in der U-Bahn festsitzen und deshalb wirkt, als würde Sherlock nun endlich John berichten, wie er sein Überleben geplant hat. John, der zwar im Doyle-Canon den Wissenshorizont der Leser repräsentiert, wird in der Serie allerdings vom Erzähler zur Figur, die oft weniger weiß, als die Zuschauer. Beim genauen (oder zweiten) Hinsehen stellt sich dann auch heraus, dass auch diese Erzählung nur eine Version ist, die Sherlock Anderson präsentiert, um ihm zum Narren zu halten. Anderson kann in der gesamten Episode, anstelle von John, mit den Fans und Zuschauern identifiziert werden. Er ist obsessiv davon besessen herauszufinden, wie Sherlock es schafft den Sprung zu überleben, übersieht die entscheidenden Hinweise und hat so viele Theorien entwickelt, dass er schon den Überblick verliert. Um Wissen zu sammeln, organisiert er sogar einen Fan-Club. Sein frustrierter Zusammenbruch, als er erkennt, dass Sherlock ihm nicht die echte Geschichte erzählt hat, kann als vorher genommene Reaktion der Fans interpretiert werden.