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Links, die ich mir merken möchte

Mastodon ist für mich ja wie Twitter. Nur dass ich wieder Lust habe ins Internet zu schreiben und mit Leuten zu interagieren, weil (für mich) die Kommunikation dort deutlich weniger toxisch ist. Außerdem ist (noch?) alles weniger festgefahren und es macht Spaß neue Menschen zu entdecken. Jedenfalls bringen neue und alte Menschen auch neue Links und bevor ich wieder alles ewig in meiner Timeline (oder schlimmer, in der ANDERER) suchen muss, hier zwei der letzten Woche, die mir wichtig sind:

  1. Ein Video, das ich nur noch “Gehirne brauchen Langeweile” nenne (via @bookstardust); Kurzzusammenfassung: Gehirne sind faul, wenn ich ständig den guten, süchtig machenden, auf mein Gehirn angepassten, algorithmisch ausgesuchten Inhalt von Sozialen Medien drauf loslasse, dann wird das mit der Konzentration nichts. Wenn man aber (kontraintuitiv) Leerlauf lässt, dann fängt das Gehirn völlig freiwillig an, selbst zu denken, weil es Langeweile schlecht erträgt.

Spannend, also gleich mal experimentieren und zwar mehrfach:

  • Leerlauf nicht mit Handyzeit füllen: An der Ampel das Handy nicht rausholen, beim Warten auf den Nahverkehr das Handy stecken lassen, beim Kochen nicht parallel Serie gucken/Podcast hören. Geht ganz gut, aber vor allem Warten ohne etwas zu tun ist nicht meine größte Stärke.
  • An die Wand gucken und nichts tun. AHA. Bisher habe ich es 2 Mal mit je 10 Minuten versucht und da hat mein Hirn schön ToDo-Listen produziert, was ich DANACH dann tun werde (oder auch nicht, wie die Erfahrung zeigt.) Nach 5 Minuten großes “aufs Handy-guck”-Bedürfnis. Heute dann Versuch mit 20 Minuten und der Einstellung, dass ich mich nicht darauf fokussiere, was ich tun könnte. Das war schon anders, mein Hirn sagt: schreibe was, du hattest da diesen Blog.

Am schwierigsten ist für mich, glaube ich, dass ich mir zugestehe, 20 Minuten nichts zu tun, wo ich doch SO VIEL MACHEN WILL. (Serie gucken, malen, aufräumen, Karte schreiben, …)

  1. no good alone (via @donnerbella); Kurzzusammenfassung: Kapitalismus gaukelt uns vor, dass wir viel bessere Menschen sind, wenn wir alleine sind und unsere sozialen Bedürfnisse in bezahlte, professionelle (psychologische) Beziehungen auslagern, anstatt unperfekte, anstrengende und viel verletzlicher machende Freundschaften und Liebesbeziehungen auszuhalten.

OHOH. Hits home hard. Jeder Absatz ist zum noch mal Lesen und weiter Denken wollen. Und jedenfalls frage ich mich seit einiger Zeit, ob wohl Psychologen zumindest zum Teil nur Dinge tun, die echte Freund*innen, zu denen man radikal offen sein kann, auch machen. (Also jetzt mal abgesehen von seelischen Erkrankungen.)

Liebeskummer für einen Ort

Als ich zum Studium nach Göttingen gezogen bin, hatte ich das große Glück die für mich perfekte Wohnung zu finden. Eineinhalb Zimmer im Dachgeschoss einer Ostviertel-Villa. Tauben und Student*inn*en wohnen unter dem Dach. Sie war wie aus einem Studentenroman. Mit Dachschrägen und Kompromisslösungen, die sie überhaupt erst finanzierbar machten. Mein Badezimmer ging direkt in mein Schlafzimmer über und mein Waschbecken war auf dem Flur, der direkt ins Treppenhaus führte und wo auch die anderen Bewohner durch mussten um zum Wäscheboden zu kommen, aber das war egal. Ich hatte keine echte Küche, aber eine perfekte Lösung mit Minikitchen inklusive Backofen und Ceranplatten und Spülschüsseln, um im Waschbecken auf dem Flur mein Geschirr zu spülen. Mein Papa hatte mir das perfekt angepasste Küchenregal mit eingebautem Tisch geschreinert.

Durch die drei Fenster des großen Zimmers – Küche, Wohn- und Arbeitszimmer in einem – konnte ich direkt auf einen wunderschönen großen Garten und den Park blicken. Ich hatte die perfekte 30-Minuten-Spazierroute durch Park und Stadtwald, die nicht zu lange dauerte, um völlig aus meinen Gedankengängen zu fallen, aber meinen Kopf frei machte.

Im Sommer war es unter dem Dach fast zu heiß und im Winter konnte ich nicht ohne extra Pulli über den Flur von der Wohnarbeitsküche ins Schlafbad gehen ohne zu frieren. Dafür war der Weg in den Park mit eiskaltem Flusslauf nur ein Katzensprung und kuschelige Decken und warmer Kakao sind im Winter sowieso eine gute Lösung.

Ich hatte die liebste Nachbarin der Welt, bei der ich schon mal ein Ei leihen konnte und mit der zusammen ich ein Milchabo hatte. Und die immer für fünf Minuten oder auch eine Stunde Gespräch zwischen Tür und Angel bereit war. Und auch wenn mein Zimmer nicht groß war – acht Leute zur Teestunde passten doch gerade so rein und machten es erst so richtig gemütlich.

Mein Schlafzimmer war der perfekte Rückzugsort. Die Dachschrägen machten es zur kuschligen Höhle, die rote Wand tat ihr Übriges. Nur die Sterne konnte ich nicht durchs Dachfenster zu beobachten, dazu war es zu klein. Aber der prasselnde Regen darauf war oft genug meine beruhigende Einschlafmusik.

Aber am wichtigsten war doch: Es war mein Zuhause. Ich konnte allein sein, wenn ich wollte oder Freundinnen einladen, wenn ich Lust auf Gesellschaft hatte. Ich hatte mein Bett, meinen Schreibtisch und meine Küche an einem Ort. Meine Bücher waren da, wo ich war. Das Bad und die Küche waren MEINS. Auch wenn sie nicht perfekt und eher provisorisch waren. Nicht alle Möbel gehörten mir, aber die, die da standen, hätten genauso gut von mir ausgesucht sein können. Sie erinnerten mich an die Möbel zuhause bei meinen Eltern. Ich hatte einen gelben Teppich, eine blaue Decke über dem Sofa und Holzmöbel, die dass Zimmer warm machten. Vielleicht schien es so kleiner als mit weißen und schwarzen Möbeln und glänzendem Stahl, aber dafür war es nicht kalt und steril. Die Wohnung passte genau so, wie sie war, zu mir. Sie war praktisch und gemütlich, warm und kuschelig, klein aber fein. Sie konnte Kompromisse eingehen, die sich als hervorragende Lösungen herausstellten.

Anders als in der WG, in der ich jetzt arbeite, waren Dreck und Unordnung wenigstens mein Chaos. Anders als beim Wohnen bei meinem Freund, hatte ich selbst mir den Ort ausgesucht und eingerichtet. Ich hatte meine Plätze. Und die Dinge, die ich besaß, waren an einem Ort. Nichts hasse ich momentan so sehr, wie das Gefühl zwischen zwei Orten zerrissen zu sein, an keinem wirklich zu leben, nirgends zu 100 Prozent zuhause zu sein. Nichts vermisse ich immer und immer wieder so sehr wie diese erste eigene Wohnung, die meine war und das beste erwachsene zuhause, das ich mir vorstellen kann. Noch immer – weit über ein Jahr, nachdem ich ausziehen musste – ist diese Wohnung der Ort an den ich mich zurückwünsche, wenn es mir nicht gut geht.

Ich habe über ein Jahr gebraucht, um an dem Haus, in dem diese Wohnung war, wieder vorbei gehen zu können. Wenn ich länger an sie denke, fällt es mir immer noch schwer, nicht in Tränen auszubrechen. Ich glaube ich habe immer noch Liebeskummer nach dieser Wohnung.