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Vom Märchenleser zum Serienjunkie (3)

Erzählen und genießen

Poetry Slams zeigen es besonders deutlich: Erzählungen machen erst dann Spass, wenn das Zusammenspiel aus guter Performance und Publikum stimmt.

Der Vortragende braucht dabei einen großen Wissensfundus des “Sprechen Könnens”. Denn er oder sie wird ständig danach beurteilt, ob die sich verändernden Sprachnormen beherrscht werden. Saussures System von langue (oder auch dem System einer Sprache) und parole (oder auch: Sprache, wie sie tatsächlich gesprochen wird) kann auf das Erzählen übertragen werden. Als langue wäre dann die Kompetenz einer Sprecherin zu erzählen zu betrachten, die vor allem durch Zuhören und Zusehen erworben wird. Als parole dagegen müsste der tatsächliche Vorgang des Erzählens betrachtet werden. Während Kinder meist ohne Hemmungen eigene Geschichten erzählen, haben inzwischen eine erstaunlich hohe Anzahl an Menschen eine Scheu davor vor Publikum zu erzählen. Allerdings lässt sich beobachten, dass die Möglichkeit Erzählungen im Internet, ohne face-to-face-Situation, darzustellen, solche Hemmschwellen abbaut. Menschen, die regelmäßig erzählen, entwickeln sich schnell zu Spezialisten. Die meisten Menschen bleiben aber eher passive Genießer.

Die wohl älteste und heute weitestgehend ausgestorbene Form des Erzählens sind Epen. In Serbien lassen sich allerdings noch epische Erzählformen finden:

Solche Erzählungen beruhen auf bestimmten Formeln, die im Vortrag nur noch zusammengeführt werden müssen. Denn die Handlung ist zu lang, die Erzählstränge zu komplex und die Zahl der Charaktere zu hoch, als dass diese Geschichten auswendig gelernt werden könnten. Durch Versmaß, Rhythmus und die Begleitung der Erzählstimme mit einem rhythmischem Instrument wird die Erzählung allerdings so strukturiert, dass sie erfolgreich vorgetragen werden kann. Durch den mündlichen, nicht-auswendig-gelernten Vortrag sind alle Erzählungen einzigartig und von einander unterschiedlich.

Typisch für mündliche Performance sind daneben auch so genannte “disclaimer of performance” in denen ein mögliches Scheitern angekündigt wird und die Erwartungen an die Erzählung herabgesetzt werden. Diese Methode der Absicherung schafft eine Erzählsituation, in der es leichter möglich wird erfolgreich zu erzählen. Denn eine Erzählerin hat auch eine Verantwortung gegenüber ihrem Publikum.

Das Publikum der verschiedensten Erzählsituationen ist bisher noch kaum erforscht. Sicher ist nur, dass auch das Zuhören erlernt wird und dass die Zuhörer kompetent beurteilen können, ob eine Erzählerin gut oder schlecht ist. Mit ihrer Reaktion können sie die Performance der Erzählerin entscheidend beeinflussen.

Die Stimme ist (abgesehen von Schrift) das wichtigste Medium des Erzählens. Dabei sind mündliche Erzählungen die längste Zeit flüchtig und nicht festhaltbar. Erst Grammophon, Radio und Fernsehen und die verschiedenen Techniken des Aufzeichnens von Stimmen machen Erzählungen reproduzierbar. Während Märchen heute vor allem in Buchform (und damit in festen, nicht variablen Formeln) rezipiert und wiedergegeben werden, geht dabei häufig verloren, dass gute Stimmen beinahe jeden Inhalt wiedergeben können, ohne dass das Zuhören langweilig wird.

Vom Märchenleser zum Serienjunkie (2)

Erzählen und Erkennen

In der ersten echten Sitzung (die erste Sitzung im Semester dreht sich üblicherweise ja vor allem um Organisationskram) ging es darum, wie bestimmte Erzählformen erlernt werden: Das Ohr ist dabei das wichtigste Sinnesorgan. Über das Ohr werden sowohl die inhaltlichen als auch die formalen Aspekte des Erzählten aufgenommen und verarbeitet. Das Interesse am Erzählten entsteht dabei über Reime, Sprachmelodie und Rhythmik (also die Form des Erzählten), die das Vergnügen an dem, was man hört, hervorrufen.

Das Video What does the fox say von Ylvis (aktuell über 230 Millionen Klicks auf Youtube) ist laut der Analyse unserer Dozentin deshalb so erfolgreich, weil es sowohl kindlich, als auch rockig, als auch parodistisch ist.

Interessant dabei ist allerdings, dass die im Vidoe eigentlich assoziierten Kindheitserinnerungen an Kinderreime eigentlich national unterschiedlich sind. Der internationale Erfolg ist möglich, obwohl kein einheitlicher Wissensvorrat angesprochen wird. Die assoziierten Kinderreime (Beispiel Das ist der Daumen) sind übrigens immer kleine Geschichten. Letztendlich ist aber noch gar nicht vollständig erforscht, welche Wirkung solche kleinen Lieder und Reime beim Spracherwerb kleiner Kinder haben.

Auch viele der kleinen Geschichten, die Kindern erzählt werden sind nicht erforscht. Die Erzählforschung beschäftigt sich zwar mit so genannten einfachen Formen, aber endlose Geschichten (z.B. der Hohle Zahn, hier in einer modernen Parodie), Ketten- oder Rundmärchen werden dabei übersehen. Die Volkskunde beschäftigt sich zwar schon lange mit verschiedenen Erzählformen, hat dabei aber lange nur “echte mündliche Erzählungen” in den Fokus genommen und multimediale Formen vernachlässigt.

Mündlich überlieferte Geschichten werden schon seit der Rennaissance gesammelt und publiziert, aber erst die Gebrüder Grimm systematisieren und verwissenschaftlichen dies. Sie haben ein breites Netzwerk von Erzählern und können so beispielsweise regionale Verbreitung und Unterschiede von Erzählstoffen untersuchen. Allerdings muss festgehalten werden, dass bei dieser Form der Beschäftigung mit Erzählungen der Fokus auf den Erzählungen an sich liegt. Die Erzähler, ihre Performanz und auch die Zuhörer werden nicht weiter untersucht.

In den 1920ern werden vornehmlich Formen und Strukturen von Erzählstoffen untersucht. Propp entwickelt die Märchenformel (vom Mangel über eine Reihe von Prüfungen zum Happy End), Jolles beschreibt die einfachen Formen. Diese sind seiner Meinung nach nicht kulturell erworben, sondern “natürlich” und “immer schon vorhanden”. Das soll heißen, dass Menschen immer auf diese Erzählformen zurückgreifen würden. Tatsächlich muss jedoch die Zeit- und Epochenabhängigkeit von Erzählformen ebenso berücksichtigt werden (die Mythe ist heute doch eher eine ausgestorbene Gattung), wie die Tatsache, dass unterschiedliche Sprachssysteme unterschiedliche Erzählformen hervorbringen.

Vom Märchenleser zum Serienjunkie (1)

Das Großartige am Studienfach Kulturanthropologie ist ja, dass sich das Fach per Definiton mit Alltags- und Populärkultur beschäftigt. In diesem Semester ist das Veranstaltungsangebot dann auch gleich besonders internetaffin. Ich belege nicht nur ein Seminar, in dem wir uns mit dem Internet als Forschungsfeld beschäftigen, sondern auch die Vorlesung Vom Märchenleser zum Serienjunkie, in der die Dozentin (Regina Bendix)die vielfältigen Aspekte historischen und modernen Erzählens darstellt. Besonders großartig daran ist, dass sie all diese wunderbaren Fundstücke aus dem Internet einbezieht, die ich mir dringend merken möchte – und wo geht das besser als hier im Blog.

Kermit-Yoda-Peter-de-Seve

Besonders schön an all diesen Bildern und Videos aus dem Internet ist, dass sie von intertexutellen und intermedialen Verweisen nur so strotzen.

Zitate aus der Wissenschaft 3

Ein Aufsatz über Mythen in technischen Museen. Zuletzt wurde der “Otto-Hahn-Tisch” beschrieben, der für die Präsentation der Entdeckung der Kernenergie die verschiedenen Instrumente und Apparaturen zusammenstellt, die für die Entdeckung der Urankernspaltung nötig waren.

Mit solch primitiver Technik und deshalb wahrscheinlich phantastischer geistiger Leistung wurde das 20. Jahrhundert erschüttert. Man könnte fragen, warum dieses Objekt nicht – der Historie gemäß – aufgelöst und kommentiert wird. Vielleicht sollte man das tun. Doch ist es von Fritz Straßmann und Otto Hahn selbst nach dem Krieg aus den Resten zusammengestellt worden, die die totale Zerbombung in Berlin übriggelassen hatten. Die Wissenschaftler selbst haben ihren Mythos komprimiert.

Es gab zum 50jährigen Jubiläum der Urankernspaltung 1988 eine Ausstellung in Berlin, die – auch im Deutschen Museum übernommen – die Geschichte wesentlich sorgfältiger aufrollte. Sie kostete einiges Geld und viel mehr Platz, und sie verhinderte (wahrscheinlich) die mythische Wirkung nicht: In Berlin wurde sie von Chaoten teilweise zerstört, die sie als Symbol der verhaßten Kerntechnik verstanden – in München stand sie unter ständigem Polizeischutz und war unerwartet stark frequentiert. (Jürgen Teichmann: Wissenschaftlich-technische Museen)

Außerdem mal wieder Foucault. Diesmal ein wundervoller Satz in der Version, die ich lese, wenn ich versuche zu verstehen, was der gute Herr mir sagen möchte:

1. Wir haben es gesehen, und es ist wahrscheinlich nicht nötig, darauf zurückzukommen: wenn man von einem Formationssystem spricht, denkt man nur an das Nebeneinanderstellen, die Koexistenz oder die Interaktion von heterogenen Elementen (Institutionen, Techniken, gesellschaftlichen Gruppen, perzeptiven Organisationen, Beziehungen zwischen verschiedenen Diskursen), sondern an die Herstellung einer Beziehung zwischen ihnen – und zwar in einer sehr bestimmten Form – durch die diskursive Praxis. (Foucault. Archäologie des Wissens)

Zitate aus der Wissenschaft

In meinem Masterstudium müssen ja alle Hauptfachstudenten ein Forschungsprojekt über zwei Semester absolvieren. Mein Projekt beschäftigt sich seit letztem Wintersemester mit allen möglichen Aspekten davon, wie Menschen sich mit (Modell)Eisenbahnen beschäftigen. Meine Kommilitoninnen beschäftigen sich mit einem Verein der seine eigene kleine Feldbahn ausbaut, der Ästhetik von Modellbahnanlagen, der interkulturellen Modelleisenbahn in Bergisch-Gladbach und jeder Menge anderer spannender Themen.

Ich selbst versuche mich mit (Modell)Eisenbahnen in Museen auseinander zu setzen. Und abgesehen vom großen Chaos in meinem Kopf und dem fehlen jeglichen roten  Fadens (so fühlt es sich zumindest grade an), bin ich gerade nicht nur damit beschäftigt Ordnung in meine Gedanken zu bringen, sondern auch noch meinen Bücherstapel abzuarbeiten. Und da beim Lesen häufig nette Zitate anfallen, gibt es heute mal eine Sammlung wissenschaftlicher Zitate:

Informal learning […] has been investigated very little by the academic research establishment. This, I suspect, is because experimental psychologists work largely with rats. Rats have extraordinarily keen senses of smell and hearing. Their ability to appreciate art and to understand history is less highly developed. Since they lack opposed thumbs, they cannot manipulate interactive exhibit devices. (Joel Bloom Science and technology museums face the future)

 

Zur Restauration eines Bahnpostwagens aus dem Jahr 1888, bei dem die Spuren der Zeit durchaus erhalten bleiben sollen:

Die Reinigung der Lackoberfläche geschah mit Radiergummi und Radierpulver. Dies mag im ersten Moment befremdlich wirken, ist jedoch sehr schonend, da der Schmutz in die weiche Gummimasse eingebettet und über die Oberfläche abgerollt wird. An der rechten Seitenwand wurde dazu ein mit Radierpulver gefülltes Gewebesäckchen eingesetzt, mit dem sich großflächig gleichmäßige Reinigungserfolge erzielen lassen. Die ausgekreideten Pigmente, die dem Lack ein graues Aussehen gaben, wurden dabei nicht vollkommen entfernt, sondern lediglich um abgegriffene Stellen herum gedünnt, um den Gesamteindruck zu vereinheitlichen. Um die dunkelgrüne Beschichtung dennoch wieder zur Geltung kommen zu lassen, bediente man sich eines Tricks: Das fehlende Bindemittel in der Puderschicht wurde durch ein mikrokristallines Wachs ersetzt. So bricht sich das Licht nicht mehr in den Pigmenten und der Lack erhält seine Tiefenwirkung zurück. (Martin Kaufmann, Ulrich Feldhaus Vom Rubens zum Bahnpostwagen)

 

Zitat zur Einleitung im Buch “Imitationen”:

Die gute Küche: “Falsche Aalsuppe, Falsche Austern, Falsche Erdäpfel, Falsche Muschelsauce, Flasche Pilze, Falsche Polenta, Falsche Schildkrötensuppe, Falsche Tauben, Falsche Wildente, Falscher Hase, Falscher Kaviar, Falscher Lungenbraten, Falscher Schnepfenkot, Falscher Spargel, Falscher Wildschweinbraten… (Gute Küche. Neuestes Kochbuch)

 

Dabei fällt mir auf: Wissenschaftliches Arbeiten mit Ausstellungskatalogen ist so ungefähr das nervigste, was ich mir vorstellen kann. Denn wenn ich zu einem Thema Literatur suche, möchte ich gerne welche, deren Inhalt das hält was der Titel mir verspricht. Gute Ausstellungen sind aber genau das Gegenteil: Sie arbeiten mit Überraschungen, Aha-Effekten und Gedanken, auf die man nicht sofort kommt. Damit enthalten Ausstellungskataloge häufig völlig andere Dinge, als ich beim Lesen des Titels und Untertitels erwarte.