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Vom Märchenleser zum Serienjunkie (2)

Erzählen und Erkennen

In der ersten echten Sitzung (die erste Sitzung im Semester dreht sich üblicherweise ja vor allem um Organisationskram) ging es darum, wie bestimmte Erzählformen erlernt werden: Das Ohr ist dabei das wichtigste Sinnesorgan. Über das Ohr werden sowohl die inhaltlichen als auch die formalen Aspekte des Erzählten aufgenommen und verarbeitet. Das Interesse am Erzählten entsteht dabei über Reime, Sprachmelodie und Rhythmik (also die Form des Erzählten), die das Vergnügen an dem, was man hört, hervorrufen.

Das Video What does the fox say von Ylvis (aktuell über 230 Millionen Klicks auf Youtube) ist laut der Analyse unserer Dozentin deshalb so erfolgreich, weil es sowohl kindlich, als auch rockig, als auch parodistisch ist.

Interessant dabei ist allerdings, dass die im Vidoe eigentlich assoziierten Kindheitserinnerungen an Kinderreime eigentlich national unterschiedlich sind. Der internationale Erfolg ist möglich, obwohl kein einheitlicher Wissensvorrat angesprochen wird. Die assoziierten Kinderreime (Beispiel Das ist der Daumen) sind übrigens immer kleine Geschichten. Letztendlich ist aber noch gar nicht vollständig erforscht, welche Wirkung solche kleinen Lieder und Reime beim Spracherwerb kleiner Kinder haben.

Auch viele der kleinen Geschichten, die Kindern erzählt werden sind nicht erforscht. Die Erzählforschung beschäftigt sich zwar mit so genannten einfachen Formen, aber endlose Geschichten (z.B. der Hohle Zahn, hier in einer modernen Parodie), Ketten- oder Rundmärchen werden dabei übersehen. Die Volkskunde beschäftigt sich zwar schon lange mit verschiedenen Erzählformen, hat dabei aber lange nur “echte mündliche Erzählungen” in den Fokus genommen und multimediale Formen vernachlässigt.

Mündlich überlieferte Geschichten werden schon seit der Rennaissance gesammelt und publiziert, aber erst die Gebrüder Grimm systematisieren und verwissenschaftlichen dies. Sie haben ein breites Netzwerk von Erzählern und können so beispielsweise regionale Verbreitung und Unterschiede von Erzählstoffen untersuchen. Allerdings muss festgehalten werden, dass bei dieser Form der Beschäftigung mit Erzählungen der Fokus auf den Erzählungen an sich liegt. Die Erzähler, ihre Performanz und auch die Zuhörer werden nicht weiter untersucht.

In den 1920ern werden vornehmlich Formen und Strukturen von Erzählstoffen untersucht. Propp entwickelt die Märchenformel (vom Mangel über eine Reihe von Prüfungen zum Happy End), Jolles beschreibt die einfachen Formen. Diese sind seiner Meinung nach nicht kulturell erworben, sondern “natürlich” und “immer schon vorhanden”. Das soll heißen, dass Menschen immer auf diese Erzählformen zurückgreifen würden. Tatsächlich muss jedoch die Zeit- und Epochenabhängigkeit von Erzählformen ebenso berücksichtigt werden (die Mythe ist heute doch eher eine ausgestorbene Gattung), wie die Tatsache, dass unterschiedliche Sprachssysteme unterschiedliche Erzählformen hervorbringen.

Zitat des Tages

“Minderheiten werden gemacht. Sie sind weder natürlich, noch vorgegeben. Sie haben auch nichts mit der absoluten Zahl zu tun. Wie ist es sonst zu erklären, dass zurecht die Frauen als eine Minderheit bezeichnet werden.”

Szell, György: “Die weißen Neger Amerikas?”: Zur Lage der Franko-Kanadier. in: Vollmer, Helmut J. (Hrsg.): Multikulturelle Gesellschaft und Minderheiten. Kanada und USA. Augsburg, 1992. S. 145.

 

 

Vom Märchenleser zum Serienjunkie (1)

Das Großartige am Studienfach Kulturanthropologie ist ja, dass sich das Fach per Definiton mit Alltags- und Populärkultur beschäftigt. In diesem Semester ist das Veranstaltungsangebot dann auch gleich besonders internetaffin. Ich belege nicht nur ein Seminar, in dem wir uns mit dem Internet als Forschungsfeld beschäftigen, sondern auch die Vorlesung Vom Märchenleser zum Serienjunkie, in der die Dozentin (Regina Bendix)die vielfältigen Aspekte historischen und modernen Erzählens darstellt. Besonders großartig daran ist, dass sie all diese wunderbaren Fundstücke aus dem Internet einbezieht, die ich mir dringend merken möchte – und wo geht das besser als hier im Blog.

Kermit-Yoda-Peter-de-Seve

Besonders schön an all diesen Bildern und Videos aus dem Internet ist, dass sie von intertexutellen und intermedialen Verweisen nur so strotzen.

Zitate aus der Wissenschaft 4

Anfang eines Vortrags zur Tagung des deutschen Museumsbundes, der im Rittersaal des Parktheaters Iserlohn gehalten wurde:

Ein Rittersaal, belehrt uns das Deutsche Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm kurz und bündig, “ist ein Saal, in dem sich Ritter und Adel bei festlichen Gele-genheiten versammeln”. Wenn ich meinen Blick hier durch diesen “Rittersaal” schweifen lasse, vermag ich die Anwesenden bei aller Wertschätzung nur sehr mühsam als des Königs Arthurs Tafelrunde zu identifizieren. Vor allem die Herren verstoßen grob gegen die heiligen Gesetze ihres Standes, sind sie doch offensichtlich völlig unbewaffnet zum Gelage erschienen – oder sollte der eine oder andere heimlich den Dolch im Gewande führen?

Im gleichen Text erfährt man übrigens auch völlig neues über die Arbeitsverhältnisse in Schmiedewerkstätten:

Wer kennt sie nicht, die Sagen und Märchen, die dem Schmied über-natürliche Kräfte bescheinigen, sein geheimnisvolles Tun bei finsterer Nacht zu Schreckensgeschichten verdichten und dazu beitrugen, diesen Beruf, der von Schwarzelfen und Zwergen ausgeübt wurde, mit abergläubischer Scheu zu beargwöhnen.