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Rezensiert: Corpus Delicti

Als ich ich Juli Zehs Buch in zuerst Händen hielt, war ich zunächst äußerst skeptisch. Immerhin handelt es sich dabei um ein Buch das “Corpus Delicti” heißt und noch dazu den kafkaesken Untertitel “Ein Prozess” trägt. Und mit Kafkas “Prozess” konnte ich noch nie viel anfangen – für meinen Geschmack viel zu bedrückend.
Doch dann habe ich doch noch die ersten Sätze gelesen – und war sofort gefesselt. Durch verschiedene, schnörkellose Sprachstile zieht Zeh den Leser sofort in den Bann: Das Buch beginnt mit einem “Vorwort”, in dem gleich der erste Satz das Konzept des neuen Staates definiert:

Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens – und nicht bloße Abwesenheit von Krankheit.

Die Dystopie eines Staates, der dem Gesundheitswahn verfallen ist und Gesundheit zur neuen Religion erhebt, fesselt. Nicht mehr der Glauben an einen Gott oder die Unterwerfung unter einen Markt bestimmen das Leben und deshalb halten sich die Menschen für frei. Doch aus der Fürsorge um die Gesundheit wächst ein neuer totalitärer Überwachungsstaat. Dieser ist fehlerlos, schließlich hat er nur das Beste für die Bevölkerung im Sinne. Und die Bevölkerung wird überwacht, damit niemand die Gesundheit der anderen gefährdet.

Und während der Leser erkennt, dass auch Gesundheit und Fitness zum neuen Glaubenssystem werden können, halten die meisten Figuren ihre Welt für ideal und ideologielos.

Mia Holl, die Hauptfigur, war lange genug selbst systemtreu. Als jedoch ihr Bruder – wie sie zu wissen glaubt – unschuldig verurteilt wird, beginnt für Mia eine Spirale aus Trauer und kritischem Nachdenken, die sie zum Widerstand gegen das System bringt. Und je mehr Mia versucht Unrecht aufzuzeigen und das System zu kritisieren, umso stärker wird deutlich, dass dieses scheinbar demokratische System ein Überwachungsstaat ist, der vor keinerlei Methoden zurückschreckt. Mia soll gefügig gemacht werden und dazu ist jedes Mittel recht.

Doch Mia lässt sich nicht so einfach brechen – und als Leser hofft man dass sie schließlich doch dem System entkommen wird.

 

Juli Zeh Corpus Delicti. Ein Prozess erschien bei Schöffling & Co. und kostet gebunden 19,90€, als Taschenbuch 9,95€.