Wie sehr die Vergangenheit noch die Lebenswirklichkeit von heute prägt, zeigt der Usus des “благодарить [blagodarit’]” in Russland. In Sowjetzeiten war die medizinische Versorgung umsonst, was unter anderem für lange Warteschlangen sorgte für gewisse Behandlungen und Operationen. Heutzutage benötigt man natürlich eine Krankenversicherung. Das heißt jedoch leider nicht, dass mit der Versicherung alles abgedeckt ist. Denn wie deutsche Kassenpatienten erleben Russen für manche Operationen oder Behandlungen lange Wartezeiten. Eine Lösung dafür ist, den Arzt schwarz zu bezahlen und plötzlich hat man sofort einen Termin. Darüber hinaus hat sich aus den Sowjetzeiten ein weiterer Usus erhalten: der des “благодарить” [blagodarit’], was wortwörtlich nur “bedanken” heißt. In Sowjetzeiten war es üblich sich für das gute Gelingen einer Operation bei dem Arzt zu “bedanken” in Form von damals beispielsweise seltenen Kognak, Pralinen, aber auch Geld. Insbesondere Gynäkologen hatten so einen guten Zuverdienst, da sie für jede Geburt einen kleinen “Dank” erhielten. Diese Tradition des “Danks” hat sich bis heute noch erhalten. Wer also eine komplikationsfreie OP möchte oder schöne Zähne, investiert so zusätzlich in seinen Arzt. Selbstverständlich hängt es auch von der einzelnen Person ab, ob sie so etwas annimmt. Da aber Ärzte im Verhältnis nicht so gut bezahlt sind, kann es auch heute noch eine gute Einkommensquelle darstellen.
Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass diese Tradition des “Arztdankes” nicht nur im Sowjetrussland vorhanden war. Auch in Ungarn gab es diese Tradition und auch hier hält sich der “Dank” bis heute.