Mit dem Beginn meines Masterstudiums habe ich mein zweites Studienfach gewechselt. Statt Kulturanthropologie und Germanistik studiere ich nun Kulturanthropologie und Komparatistik. In der Kulturanthropologie wurden wir bereits im Bachelorstudium – unter anderem ein einem eigenen Seminar “Kulturtheorie” – ausführlichst mit den Theorien und Methoden der Kulturwissenschaften gedrillt. Darüber hinaus spielen die Theorien zu den behandelten Themenfeldern auch in allen anderen Seminaren eine bedeutende Rolle. Die meisten Seminare beginnen damit, dass in den ersten Sitzungen des Semesters grundlegende Texte zum jeweiligen Thema erarbeitet werden. Auch auf die allgemeineren, in den Kulturtheorien vermittelten, Theorien wird immer wieder Bezug genommen. Ich wage also zu behaupten, dass ich eine gewissen Kompetenz in Kulturtheorien mitbringe.
Und nun studiere ich also Komparatistik.Das Fach wurde in Deutschland erst in den 1950er Jahren institutionalisiert und ist folglich an den Philosophischen Fakultäten noch relativ jung. Darüber hinaus steht es in großer Konkurrenz zu den Einzelphilologien und muss sich beständig abgrenzen und in seiner Existenz rechtfertigen. Als große Vorteile des Faches werden besonders die sprach-, literatur-, medien- und künsteübergreifende Analyse von Literatur hervorgehoben. Dass folglich der “cultural turn” und kulturwissenschaftliche Methoden von großer Bedeutung für die Komparatistik sind, scheint offensichtlich. So wird sowohl in Einführungsveranstaltungen als auch in der Einführungsliteratur immer wieder betont, wie wichtig die kulturwissenschaftlichen Methoden und Ansätze auch für die Komparatistik sind. Dennoch steht die Komparatistik auch hier vor dem Problem der Abgrenzung. Ebensowenig wie sie reine Literaturwissenschaft sein möchte, möchte sie echte Kulturwissenschaft werden. Zwischen den Fächern schwankend wird drüber gesprochen, wie wichtig neue Ansätze wären, während gleichzeitig weiterhin im Großen und Ganzen die alten Methoden verwendet werden. Wie wenig sich die Komparatisten tatsächlich auf kulturwissenschaftliche Ansätze einlassen, zeigt sich immer wieder daran, dass diese nur in groben Auszügen rezipiert werden. So werden zum einen nicht die am Besten umsetzbaren Methoden sondern die bekanntesten ins Fach geholt. Beispielhaft dafür steht die Zitation der Foucaultschen Diskursanalyse als Methode – die als solche auch gelernten Kulturwissenschaftlern Schwierigkeiten bereitet – statt als Erklärungssystem des Ablaufes von Wissensorganisation. Zum anderen fehlt die gründliche Verortung der Methoden. Kulturwissenschaftliche Ansätze werden nicht auf ihre Ursprünge verfolgt oder gar im – übertrieben formuliert – im Original gelesen. Statt eine Methode zunächst in ihrer eigentlichen Funktion zu verstehen und erst anschließend auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen, werden vielversprechend klingende Ansätze sofort für die Literatur adaptiert. In der Folge scheinen dem Kulturwissenschaftler viele kulturwissenschaftliche Ansätze in der Komparatistik seltsam verdreht. Hinzu kommt natürlich, dass für die Komparatisten, die trotz allem immer noch Literaturwissenschaftler sind, die Literatur allen und nicht die Literatur im Zusammenhang mit der Kultur im Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht. In der Folge sind viele Fragestellungen, die über die Literatur hinausgehen tabu – und dies trotz der im Fach propagierten Offenheit. Gerade Fragen nach den Aussagen, die Literatur über Kultur und Gesellschaft trifft, werden so ausgeklammert – obwohl gerade sie es sind, die hervorragend mit einer Kombination aus kulturwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Methoden (und dem Ansatz der Diskursanalyse) beantwortet werden könnten.
Literaturwissenschaftler als Kulturwissenschaftler? Ein schöner Traum.