Category Archives: Wissenschaft

Zitate aus der Wissenschaft 4

Anfang eines Vortrags zur Tagung des deutschen Museumsbundes, der im Rittersaal des Parktheaters Iserlohn gehalten wurde:

Ein Rittersaal, belehrt uns das Deutsche Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm kurz und bündig, “ist ein Saal, in dem sich Ritter und Adel bei festlichen Gele-genheiten versammeln”. Wenn ich meinen Blick hier durch diesen “Rittersaal” schweifen lasse, vermag ich die Anwesenden bei aller Wertschätzung nur sehr mühsam als des Königs Arthurs Tafelrunde zu identifizieren. Vor allem die Herren verstoßen grob gegen die heiligen Gesetze ihres Standes, sind sie doch offensichtlich völlig unbewaffnet zum Gelage erschienen – oder sollte der eine oder andere heimlich den Dolch im Gewande führen?

Im gleichen Text erfährt man übrigens auch völlig neues über die Arbeitsverhältnisse in Schmiedewerkstätten:

Wer kennt sie nicht, die Sagen und Märchen, die dem Schmied über-natürliche Kräfte bescheinigen, sein geheimnisvolles Tun bei finsterer Nacht zu Schreckensgeschichten verdichten und dazu beitrugen, diesen Beruf, der von Schwarzelfen und Zwergen ausgeübt wurde, mit abergläubischer Scheu zu beargwöhnen.

Litlog

Die Germanistik der Uni Göttingen hat ein lobenswertes Projekt ins Leben gerufen: Ein halbwissenschaftliches Blog zu kulturwissenschaftlichen Themen. Denn: kulturwissenschaftliche Themen sind im Internet kaum vertreten. Kulturellen Themen begegnen wir allerdings an allen Ecken und Enden. Da wird es durchaus Zeit, dass sich Wissenschaftler mal an den eigenen Haaren packen und selbst aus dem Sumpf des Nichtgesehenwerdens herausziehen. Immerhin wird in den Geisteswissenschaften jede Menge gesellschaftlich relevanten Wissens produziert.

Litlog ist eines solcher Projekte. Ein Internetfeuilleton, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Literatur:

Litlog ist ein studentisches eMagazin, gegründet am Seminar für Deutsche Philologie der Georg-August-Universität Göttingen, das sich den praktizierten Dialog zwischen Wissenschaft und Kultur zum Ziel gesetzt hat. Das Spektrum dieses Dialogs reicht von kulturanalytischen Essays über literaturkritische Beiträge und Berichte zum literarischen wie kulturellen Leben, insbesondere in Göttingen, bis hin zu wissenschaftsjournalistischen und genuin wissenschaftlichen Artikeln.

Soweit die Selbstbeschreibung.

Auf dem Blog gibt es die drei Kategorien: Belletristik, literarisches Leben und Wissenschaft.

Das literarische Leben beschränkt sich vor allem auf Göttingen, denn hier ist das Blog schließlich angesiedelt. Allerdings bieten drei Theater, eine Reihe von Kleinbühnen und das literarische Zentrum genügend Veranstaltungsraum.

Die meisten veröffentlichten Artikel sind relativ lang. Was jedoch die geringe Veröffentlichungsdichte (nur zwei Artikel pro Woche) erklärt. Allerdings mangelt es auch immer noch an Autoren, denn außer Ruhm und Ehre, ist mit dem Schreiben für Litlog nichts zu verdienen.

 

Was machen eigentlich Literaturwissenschaftler?

Wer Literatur nicht einfach nur genießen und lesen möchte, sondern sie sich auch gerne über die Oberfläche hinaus erschließen, dem stehen verschiedene Wege dazu offen. Neben der klassischen literaturwissenschaftlichen Analyse nach Form und Inhalt gibt es auch die Möglichkeit zu überlegen, ob im Text bestimmte Themen besonders wichtig sind. Die Theorie ist, dass es in allen Gesellschaften “Kulturthemen” gibt, die sich auch in ihren jeweiligen Ltiteraturen wiederspiegeln. Solche Themen sind zu Beispiel: Geburt und Tod, Gewalt, aber auch alltäglicher erscheinende Dinge, wie Arbeit und Familienleben. Sehr viele solcher Themen sind vorstellbar. Findet man eines dieser Themen nun immer und immer wieder in der Literatur, so kann man davon ausgehen, dass es besonders präsent und wichtig für eine Gesellschaft ist. Die unterschiedliche Verarbeitung in der Literatur lässt dann auch Rückschlüsse auf die Situation der Gesellschaft an sich zu.

Ein Beispiel: Das Kulturthema “Arbeit”

Kathrin Röggla: Wir schlafen nicht

Im Buch kommen sieben verschiedene Personen zu Wort, die alle für eine bestimmte Firma auf einer Messe sind. Scheinbar in Interviews erzählen sie von bestimmten Aspekten des Stresses bei ihrer Arbeit. Businessslang bestimmt die hektischen, sich ständig wiederholenden Äußerungen. Durch konsequente Kleinschreibung und die phrasenhaften Wiederholungen macht das Buch die gestresste Atmosphäre, in der die Protagonisten leben deutlich.

Die völlig verrückte und unnatürliche Situation erinnert übrigens stark an Martin Suters Business Class.

Annette Pehnt: Mobbing

Der Mann der Erzählerin ist bei der Stadt angestellt. Eine typische Kleinfamilie der deutschen Mittelschicht. Doch mit der neuen Chefin ändert sich alles: Der Mann hat das Gefühl in der Arbeit gemobbt zu werden. Da jedoch seine Frau die Erzählerin ist, wissen wir schnell nicht mehr, was Wahrheit und was nur Angst ist. Die doppelte Vermittlung der Ereignisse lässt jede “Wahrheit” undurchschaubar werden. Die beiden Erwachsenen befinden sich in einer Spirale aus Angst vor Arbeitsverlust und Harz4 und gegenseitigem Misstrauen. Alle Lösungsversuche scheitern, so dass sogar die Kommunikation miteinander immer unmöglicher wird. Auch hier ist der große Vorteil des Buches, dass die Sprachlosigkeit, Angst und der zunehmende Verlust des Partners nachvollziehbar wird. Am Ende angekommen, ist man sehr froh wieder in einer weniger bedrückenden Realität angekommen zu sein.

Karen Duve: Taxi

Taxi ist der längste und konventionellste der hier vorgestellten Texte. Die Ich-Erzählerin Alex weiß nach dem Abitur nichts mit sich anzufangen und beschließt auf eine Annonce hin Taxifahrerin zu werden. Zunächst ist der neue Job ein großes Abendteuer: sie fährt nachts und erlebt eine unendliche Zahl  verrückter Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Doch schließlich wird Alex von der quälenden Unentschlossenheit, die sie schon zum Taxi fahren gebracht hat, eingeholt. Die Kollegen zitieren frauenfeindliche Philosophen und drängen sie so in die Position der unterlegenen Kollegin. Alex wird von einer schrecklichen Müdigkeit ergriffen, die sie am aufstehen und Arbeiten hindert. Letztendlich wird das Taxifahren für Alex genauso zum Gefängnis, wie sie es von einem Schreibtischjob befürchtet hat.

Das Thema Arbeit in den Texten

Die drei Texte setzen sich auf völlig unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Arbeit auseinander: Die Hektik einer Messe, die Angst vor dem Verlust der Arbeit, der scheiternde Versuch aus dem vorgeschriebenen Lebenslauf auszubrechen. Doch genau damit spiegeln die Texte eine wichtige Thematik in der deutsche Gesellschaft wider: Wir erleben eine zunehmende Entgrenzung von Arbeit und Beruf. Immer mehr Menschen arbeiten von Zuhause und auch noch nach “Feierabend”. Die Harz4-Gesetzgebung hat die Angst vor dem Abrutschen in die Arbeitslosigkeit verstärkt und das Problem von Arbeitslosigkeit nicht gelöst. Auch die Frage nach “Erfüllung” durch den Beruf steht immer noch im Raum. Immer mehr Menschen arbeiten in kreativen Berufen, die von traditionellen Erwerbsbiographien (lebenslanges Arbeiten für einen Betrieb) weit entfernt sind. Gleichzeitig erleben sie, dass die versprochene Selbstverwirklichung auch durch diese Berufe nicht immer möglich ist.

Die Besonderheit der Verarbeitung solcher Themen in der Literatur ist, dass das Geschilderte nachfühlbar wird. Anders als Zeitungsberichte – in denen die Themen naturgegeben auch auftauchen – kann Literatur auf einer direkten emotionalen Basis vermitteln. Beim Lesen sind wir gewissermaßen für eine kurze Zeit die Personen, von denen die Geschichten handeln. Wir können in Rollen schlüpfen, die wir im realen Leben nie einnehmen könnten oder wollten. Und auch wenn die Erlebnisse, die wir in diesen Rollen machen nicht real sind: Sie hinterlassen ihre Spuren, sind Erkenntnisgewinn und Bereicherung und somit durchaus echt. Sie fördern das Verständnis für diejenigen, die unter Umständen solche Erfahrungen tatsächlich machen müssen. Denn: wir haben die Situation ja schon einmal selbst “erlebt”.

Hurra! Meine Uni hat gebaut!

Endlich wird er eröffnet! Der Neubau “Kulturwissenschaftliches Zentrum” der Uni Göttingen ist fertig und bezogen. Die offizielle Pessemitteilung findet man hier – und kann sogar einen sechsminütigen Werbefilm sehen.

Im Büro

Doch ist wirklich alles Friede-Freude-Eierkuchen? Die Mängelliste am Gebäude ist lang, die Bauarbeiten tatsächlich noch lange nicht abgeschlossen und die Mitarbeiter*innen zunehmend genervt. Muss es wirklich sein, dass es in einzelnen Büros bei schönem Wetter auch mal 40° C heiß wird? Denn nach allem was man als Student so an Gerüchten hört, ging der Uni bei Baukosten von 25,2 Millionen Euro am Ende doch das Geld aus, so dass das Flachdach nicht mehr isoliert werden konnte. Doch nicht nur das: Die engen Treppen machen es beinahe unmöglich, dass zwei Personen sie gleichzeitig nutzen. Oft genug steht man also abwartend am Treppenabsatz, dem entgegenkommenden Kollegen*innen im Einverständnis über die nervige Situation zulächelnd.

Im Seminarraum

Doch nicht nur die neuen Büros sind gewöhnungsbedürftig. An 60 x 120 cm kleinen Tischen in den Seminarräumen ist es nicht nur nahezu unmöglich entspannt nebeneinander zu sitzen, auch die für Geisteswissenschaftler*innen eher typische Menge an Unterlagen ist darauf nur mit großem Ordnungsgeschick angemessen unterzubringen.

Die anhaltenden Bauarbeiten rund um das Gebäude machen die gesprächsintensiven Seminare auch nicht einfacher. Lange waren noch letzte Arbeiten an der Außenfassade umzusetzen und an den Grünanlagen wird immer noch mit schweren Maschinen gearbeitet. Der Lärmpegel draußen ist hoch, doch ohne geöffnete Fenster ist drinnen die Luft vom vielen Denken viel zu schnell verbraucht. Ein Teufelskreis.

Hinzu kommt, dass es im Erdgeschoss mit immerhin 9 großen Seminarräumen keine einzige Toilette gibt, die für die öffentliche Benutzung gedacht ist. Der dreifache Gang zur Toilette aus Nervosität vor dem nächsten wichtigen Referat ist also umständlich und führt dazu noch in den Keller.

Großartige Bibliothek

Zugegeben: die Bibliothek dagegen, die 23 Teilbibliotheken der Kulturwissenschaften zusammenführt, ist großartig! Endlich nicht mehr durch die ganze Stadt fahren müssen, um ein Buch zu besorgen. Doch Moment: obwohl es wirklich viele Arbeitsplätze gibt, hat sich wohl schnell herumgesprochen, dass es hier sehr leise und hell ist und wirklich große Arbeitstische zur Verfügung stehen. Studierende aller Fachrichtungen kommen inzwischen um hier in Ruhe arbeiten zu können. So wird es zu den Stoßzeiten schon mal schwierig einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das Konzept der unterschiedlichen Arbeitsplätze geht offensichtlich auf: mietbare Arbeitskabinen, Tageskabinen, Einzelarbeitsplätze und Räume für Gruppenarbeit sind schneller belegt als man gucken kann. Student*innen und Dozenten*innen schätzen die gut strukturierte Bibliothek mit den schnell auffindbaren Büchern offensichtlich.
Das gleiche Temaraturproblem wie im ganzen Haus gibt es überigens in abgemilderter Form auch in der Bibliothek: mit jedem Stockwerk das man erklimmt, steigt schon nach wenigen Sonnentagen die Temparatur derart, dass der Gedanke an Bademode und Pools in der Bibliothek unglaublich verlockend wird.

Behindertengerecht?

Doch der offensichtlichste Mangel: für einen Neubau ist das Kulturwissenschaftliche Zentrum erschreckend wenig barrierefrei. Die Eingangstür lässt sich von einer Person, die im Rollstuhl sitzt, trotz Türöffner auf keinen Fall benutzen. Immerhin muss man seitlich neben die Tür fahren, den Türöffner betätigen und bekommt dann auch schon die schwere Türe in den Weg. Die Behindertentoilette des Erdgeschosses, lässt sich nur über den Aufzug erreichen, denn sie liegt auf einer über drei Stufen zu erreichenden Zwischenebene. Darüber hinaus kann man die Türe zur Toilette noch nicht mal abschließen. Die Ansagen im Aufzug sind übrigens nicht verständlich, da Etagenansage und Hinweis auf das Öffnen der Tür nahtlos ineinander übergehen. Wie man als Rollstuhlfahrer*in die sehr schweren Zwischentüren im gesamten Gebäude öffnen können soll, ist mir darüber hinaus auch ein Rätsel.

Die Eröffnungsfeier

Heute Morgen wurde dieses Neubau mit den “guten Arbeitsbedingungen” feierlich eröffnet. Hochkarätige Gäste (die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Annette Schavan; die Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Prof. Dr. Johanna Wanka) und Unileitung trafen sich dazu jedoch unter sich: Mitarbeiter*innen wurden nur eingeladen, wenn sie eine Halbzeitstelle hatten und mussten sich zudem per Formular anmelden, um eine Eintrittskarte zu bekommen. Dass sich die Universität nur bedingt für Studierende interessiert, ist diesen bekannt. Enttäuschend ist es jedoch trotzdem jedes Mal wieder, einfach so übergangen zu werden. Immerhin wird in der Öffentlichkeit ja gerne betont, dass das Kulturwissenschaftliche Zentrum ein hervorragender Ort zum Lernen sei.

Ich schäme mich für meine Uni!

Über diesen Artikel im Blog der Mädchenmannschaft bin ich auf diesen Spiegelartikel aufmerksam geworden. Und ich muss sagen: Oh mein Gott! Wie schäme ich mich an der Uni Göttingen zu studieren!
Bisher dachte ich doch, die linke Unistadt wäre einigermaßen aufgeklärt und sensibilisiert, was Genderthemen anginge. Aber ein derart unsensibles, dummdreistes Verhalten schockiert mich zu tiefst. Ganz offensichtlich müssen die hiesigen Genderstudies und andere Geisteswissenschaften, in denen das Thema ständig präsent ist, richtig viel Aufklärungsarbeit leisten und dabei richtig laut werden. Die in den Fächern diskutierten Themen gehen offensichtlich völlig an der Realität der Universität vorbei, weil sie von viel zu viel Vorwissen ausgehen.
Ich schließe mich dem Artikel der Mädchenmannschaft voll an! Die Facebookseite der Mannschaft möchte ich bewusst nicht verlinken! Zeigt die dort stattfindende Diskussion doch nur, wie – ich nenne es euphemistisch mal unwissend – die Diskutierenden sind, wenn es um das Thema Gleichberechtigung geht.

Rezensiert: Über die Moden

Eine der frühesten Auseinandersetzungen mit der Frage, was eigentlich Mode ist, wurde von Christian Garve 1792 verfasst. In seiner Analsye geht es dabei jedoch nicht um Kostümgeschichte: Er zeichnet keinen Verlauf unterschiedlicher Mode- und Kleidungsstile nach. Viel mehr beschäftigt Garve die Frage nach der sozialen Bedeutung von Mode. Er zeigt den Zusammenhang von Kleidung und sozialen Hierarchien auf und wie durch Mode der soziale Status einer Person widergespiegelt wird. Außerdem analysiert er Mode eben nicht nur in Bezug auf Kleidung und andere Gegenstände sondern auch in Bezug auf Verhaltensweisen. Dabei macht er deutlich, dass Kleidung besonders schnell über verschiedene Schichten hinweg verbreitet wird, während die Schichten sich durch Verhaltensweisen deutlich von einander abgrenzen können.

Dazu analysiert er besonders die Mode seiner Zeit und beschreibt deswegen, wie Mode in Monarchien funktioniert. Denn, so Garve, es braucht ein gesellschaftliches Zentrum (wie zum Beispiel einen Königshof), von dem aus Mode sich verbreiten kann. Dennoch enthält sein Essay einige Beobachtungen, die auch in der modernen Soziologie noch relevant sind. So beschreibt er – ohne natürlich die modernen wissenschaftlichen Begriffe zu verwenden – verschiedene Mechanismen im sozialen und kulturellen System.
Sein Aufsatz beginnt so zum Beispiel mit der Feststellung, dass Menschen, die engen sozialen Umgang miteinander pflegen, sich einander ganz unwillkürlich in Aussehen und Verhalten anpassen. Diese Beobachtung findet sich ganz ähnlich im Habituskonzept von Bourdieu wieder.

Darüber hinaus findet sich bei ihm auch die Idee des Gesunkenen Kulturgutes, wie sie von Naumann formuliert wird: Garve beschreibt sehr ausführlich, wie sich eine Mode in Kleidung oder Verhalten von einer Schicht auf die nächste überträgt. Moden entstehen ihm zufolge dort, wo Geld, Zeit und modisches Wissen vorhanden sind: also besonders im Adel. Sie werden dann zunächst vom reichen, dann vom weniger reichen Bürgertum kopiert, bis sie schließlich auch in den unteren Schichten ankommen. Währenddessen haben sich im Adel natürlich längst neue Moden herausgebildet.

Wie modern Garves Analyse ist, zeigt sich jedoch nicht nur, wenn er die Verbreitungsmechanismen von Mode beschreibt. Beim Lesen des Essays ist mir schnell aufgefallen, dass Garve in seiner Analyse nicht in Geschlechterstereotype verfällt. Bis auf die letzten zwanzig Seiten spielt Geschlecht im Essay überhaupt keine Rolle. Beim Lesen wusste ich zunächst gar nicht, ob ich darüber erfreut, erstaunt oder verwirrt sein sollte. Diese Ausgeglichenheit in der Analyse liegt meiner Meinung genau daran, dass Garve Mode nicht ausschließlich als Kleidermode begreift. Indem er auch die veränderlichen Verhaltensweisen von Menschen darunter fasst, wird Mode zum definitiv allgemein menschlichen Phänomen. Erst ganz zum Schluss geht er dann dann doch noch auf die Zusammenhänge von Mode und Geschlecht ein. Er bezieht sich dabei jedoch auf Männer und Frauen. Es geht ihm aber auch dann nicht darum bestimmte stereotype Geschlechterrollen zu reproduzieren – ein für seine Zeit erstaunliches Vorgehen. Stattdessen geht es ihm um die Beschreibung, wie Männer und Frauen mit Mode umgehen und welchen Beschränkungen sie dabei unterliegen.

Christian Garve: Über die Moden. Insel 1972. Leider vergriffen, aber als PDF verfügbar.

Warum Literaturwissenschaftler keine Kulturwissenschaftler sind

Mit dem Beginn meines Masterstudiums habe ich mein zweites Studienfach gewechselt. Statt Kulturanthropologie und Germanistik studiere ich nun Kulturanthropologie und Komparatistik. In der Kulturanthropologie wurden wir bereits im Bachelorstudium – unter anderem ein einem eigenen Seminar “Kulturtheorie” – ausführlichst mit den Theorien und Methoden der Kulturwissenschaften gedrillt. Darüber hinaus spielen die Theorien zu den behandelten Themenfeldern auch in allen anderen Seminaren eine bedeutende Rolle. Die meisten Seminare beginnen damit, dass in den ersten Sitzungen des Semesters grundlegende Texte zum jeweiligen Thema erarbeitet werden. Auch auf die allgemeineren, in den Kulturtheorien vermittelten, Theorien wird immer wieder Bezug genommen. Ich wage also zu behaupten, dass ich eine gewissen Kompetenz in Kulturtheorien mitbringe.

Und nun studiere ich also Komparatistik.Das Fach wurde in Deutschland erst in den 1950er Jahren institutionalisiert und ist folglich an den Philosophischen Fakultäten noch relativ jung. Darüber hinaus steht es in großer Konkurrenz zu den Einzelphilologien und muss sich beständig abgrenzen und in seiner Existenz rechtfertigen. Als große Vorteile des Faches werden besonders die sprach-, literatur-, medien- und künsteübergreifende Analyse von Literatur hervorgehoben. Dass folglich der “cultural turn” und kulturwissenschaftliche Methoden von großer Bedeutung für die Komparatistik sind, scheint offensichtlich. So wird sowohl in Einführungsveranstaltungen als auch in der  Einführungsliteratur immer wieder betont, wie wichtig die kulturwissenschaftlichen Methoden und Ansätze auch für die Komparatistik sind. Dennoch steht die Komparatistik auch hier vor dem Problem der Abgrenzung. Ebensowenig wie sie reine Literaturwissenschaft sein möchte, möchte sie echte Kulturwissenschaft werden. Zwischen den Fächern schwankend wird drüber gesprochen, wie wichtig neue Ansätze wären, während gleichzeitig weiterhin im Großen und Ganzen die alten Methoden verwendet werden. Wie wenig sich die Komparatisten tatsächlich auf kulturwissenschaftliche Ansätze einlassen, zeigt sich immer wieder daran, dass diese nur in groben Auszügen rezipiert werden. So werden zum einen nicht die am Besten umsetzbaren Methoden sondern die bekanntesten ins Fach geholt. Beispielhaft dafür steht die Zitation der Foucaultschen Diskursanalyse als Methode – die als solche auch gelernten Kulturwissenschaftlern Schwierigkeiten bereitet – statt als Erklärungssystem des Ablaufes von Wissensorganisation. Zum anderen fehlt die gründliche Verortung der Methoden. Kulturwissenschaftliche Ansätze werden nicht auf ihre Ursprünge verfolgt oder gar im – übertrieben formuliert – im Original gelesen. Statt eine Methode zunächst in ihrer eigentlichen Funktion zu verstehen und erst anschließend auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen, werden vielversprechend klingende Ansätze sofort für die Literatur adaptiert. In der Folge scheinen dem Kulturwissenschaftler viele kulturwissenschaftliche Ansätze in der Komparatistik seltsam verdreht. Hinzu kommt natürlich, dass für die Komparatisten, die trotz allem immer noch Literaturwissenschaftler sind, die Literatur  allen und nicht die Literatur im Zusammenhang mit der Kultur im Vordergrund des Erkenntnisinteresses steht. In der Folge sind viele Fragestellungen, die über die Literatur hinausgehen tabu – und dies trotz der im Fach propagierten Offenheit. Gerade Fragen nach den Aussagen, die Literatur über Kultur und Gesellschaft trifft, werden so ausgeklammert – obwohl gerade sie es sind, die hervorragend mit einer Kombination aus kulturwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Methoden (und dem Ansatz der Diskursanalyse) beantwortet werden könnten.

Literaturwissenschaftler als Kulturwissenschaftler? Ein schöner Traum.

ARTigo – Spielen und dabei der Wissenschaft helfen

ARTigo ist ein Online-Spiel, das gleichzeitig der LMU München hilft, ihr digitalisiertes Bildarchiv für Suchende tatsächlich nutzbar zu machen. Wer in einer Bilddatenbank beispielsweise nach Bildern zum Thema “Sommer” sucht, wird schwer fündig, sofern er nicht bereits vorher bestimmte Maler heraussucht oder das Stichwort im Titel des Bildes enthalten ist.

ARTigo will sich dabei der Internetnutzer bedienen, da beispielsweise in Deutschland ca. 75 % der Gesamtbevölkerung online sind, weltweit 2 Milliarden Menschen. Ziel ist es, Bilder mit sinnvollen “Tags” zu versehen, die Bilder leichter auffinden lassen.

In ARTigo spielen zwei Spieler gegeneinander: Man bekommt ein Bild eingeblendet und hat ca. 1 Minute Zeit, um verschiedene Begriffe einzugeben, die einem zum gezeigten Bild einfallen. Gibt der Gegenspieler das gleiche Wort ein, bekommen die Spieler Punkte. Somit wird verhindert, dass sinnlose Tags vergeben werden, die gar nichts mit dem Bild zu tun haben.

Problem bei dieser Spielstrategie ist natürlich, dass man zunächst nur die vorrangig sichtbaren Dinge bezeichnet, wie die Farben oder Figuren; d.h. weniger die Epoche oder eventuell sogar den Maler. Dafür gibt es KARIDO, bei dem man nur bei “anspruchsvolleren” Tags Punkte bekommt. Das Grundprinzip der Validierung (d.h. das mind. 2 oder mehr Spieler diesen Begriff eingegeben haben) bleibt bestehen.

Nach jeder Partie werden dem Spieler noch einmal die Bilder gezeigt, die man getaggt hat. Diesmal jedoch mit Maler, Entstehungszeit und Museumsort. So lernt man unbewusst mehr Bilder kennen – was für allen für Kunst- und Kunstgeschichtestudenten von Vorteil ist. Zudem kann man sich anmelden und bei guten Spiel in die Bestenliste kommen. Das ist aber nicht notwendig, um ARTigo zu spielen.

Neben den spielerischen Effekt, ergeben sich auch für andere Geisteswissenschaften neue Forschungsmöglichkeiten: Beispielsweise, ob Japaner andere Dinge zuerst beschreiben würden als Deutsche. (ARtigo gibt es auch auf Englisch und Französisch). Denn die Eingabezeit der Begriffe, d.h. das zeitliche Nacheinander wird gespeichert. Gleiches gilt für Wahrnehmungspsychologen: Bewerten ältere Menschen andere Dinge zuerst als junge Menschen oder haben Männer und Frauen ein unterschiedliches Wahrnehmungsverhalten?

Ist einem also wieder langweilig – spielt ARTigo!

Quelle: screenshot von http://www.artigo.org/